Erfurt/Geisa. EU-Kommissionspräsident Juncker hat während eines Besuchs in Thüringen im Landtag mit Jugendlichen gesprochen. Zudem ist er in Geisa mit dem Point-Alpha-Preis ausgezeichnet worden.

Ein Begrüßungsküsschen für Landtagsvizepräsidentin Dorothea Marx (SPD), ein freundlich-schlichtes Willkommen zu den Gästen im Plenarsaal des Thüringer Landtages – bei seinem Besuch in Thüringen erweckte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern von Beginn an den Eindruck eines Vertrauten.

Der 64-Jährige weiß dann auch, wie man seinen Gastgebern Freundlichkeiten erweist. Er beginne normalerweise jede Reden mit den Worten, er sei froh, hier zu sein – im Land von Friedrich Schiller, dem Lenker und Dichter der Freiheit, stimme dies auch, sagt er. Zumal am Jahrestag des 17. Juni 1953, „der so wichtig ist für Thüringen und Deutschland“. Seit sechs Monaten gebe es das vollständige Deutschland wieder länger als das durch die Mauer getrennte, „wer hätte das gedacht“, so Europas höchster Beamter. Die deutsche und die europäische Einheit seien für ihn zwei Seiten einer Medaille.

Jean-Claude Juncker hält eine ebenso nachdenkliche wie launige Rede, die von den Zuhörern – darunter viele Erfurter Studenten und Schüler – immer wieder mit Beifall quittiert wird. Dazu gehört auch ein Loblied auf die Thüringer Bratwurst. Dass man sie in seiner Heimat Luxemburg nicht mehr so nennen dürfe, sei mit eine Folge des EU-Regulierungswahns.

Junckers Appell: Europäer müssen zusammenstehen

Eindringlich mahnt Jean-Claude Juncker die Europäer zur Einheit. Europa befinde sich demografisch auf dem absteigenden Ast und verliere an Wirtschaftskraft. „Wenn wir nicht zusammenstehen, wird es uns bald nicht mehr geben“, sagte der Redner.

Das europäische Leben finde aber nicht in Brüssel statt, das sei nur das Europa von oben. „Thüringen ist das richtige Europa. In den europäischen Regionen pulsiert das europäische Leben“, so Juncker. Auch deshalb versuche er immer wieder, der Käseglocke Brüssel zu entgehen und vor Ort mit Bürgern zu sprechen. Mehr als 61 Prozent Wahlbeteiligung in Deutschland bei den Europawahlen hätten bei allen Unterschieden der Wahlentscheidungen gezeigt, dass die Menschen keinen stupiden Nationalismus oder ausgrenzenden Populismus wollten. Niemand sei es verboten, Patriot zu sein.

„ Wir müssen uns unserer Nationen nicht schämen. Jeder Patriot in Europa verdient denselben Respekt und soll nicht beschimpft werden“, so Juncker. Europa sei nicht gegen die Völker, sondern nur mit ihnen zu machen. „Aber wir wollen auch ein Europa, das transparent ist, das man nachvollziehen und mitvollziehen kann“, sagte der Redner. Dass man seinen Nachfolger nun wieder in dunklen Hinterzimmern suche, halte er für keinen guten demokratischen Stil.

Point-Alpha-Preis nahmen schon Kohl und Gorbatschow entgegen

Juncker wäre nicht Juncker, hätte er nicht auch ein paar Spitzen mit im Redegepäck. Der Thüringer Landtag sei besonders eifrig, wenn es um Eingaben an die EU-Kommission gehe – diese seien aber von unterschiedlicher Qualität. Man nehme jedoch das Prinzip der Subsidiarität ernst, deshalb bremse man niemanden. Die Zeit, in denen die EU-Kommission Duschköpfe oder Toilettenspülungen harmonisiert habe, sei vorbei.

Während seiner Amtszeit seien Gesetzgeber- und Genehmigungsverfahren drastisch reduziert worden. Thüringen kritisierte er dafür, dass es bisher verfügbare Mittel aus dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen kaum abruft. „Man beklagt sich über die Kürzung der Haushaltsmittel im Bereich Agrar, aber das verfügbare Kapital wird ungenügend genutzt. Ich hätte gern, dass sich das ändert“, sagte Juncker.

Am Nachmittag nimmt der EU-Präsident in der Grenz-Gedenkstätte Point-Alpha im südthüringischen Geisa den mit 25.000 Euro dotierten Point-Alpha-Preis für Verdienste um Europa entgegen. In der Begründung des Kuratorium für die Verleihung heißt es dazu, durch sein langjähriges Wirken trage der 64-jährige EU-Präsident zum europäischen Einigungsprozess bei. Den 2005 geschaffenen Preis erhielten bisher Persönlichkeiten wie Helmut Kohl, Michail Gorbatschow und George H. W. Busch, Helmut Schmidt, Lech Walesa oder der Liedermacher Wolf Biermann.