Erfurt. Das rot-rot-grüne Bündnis hat den Antrag auf Auflösung des Landtags zurückgezogen. Die nötige Zweidrittelmehrheit sei nicht gesichert – und AfD-Stimmen dürften nicht den Ausschlag geben.

Kurz vor der geplanten Auflösung des Thüringer Landtags ziehen zwei Regierungsfraktionen die Reißleine: Linke und Grüne nahmen am Freitag ihre Unterschriften unter einem Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments zurück.

Die nötige Zweidrittelmehrheit sei nicht gesichert - AfD-Stimmen dürften nicht den Ausschlag geben, begründeten die Fraktionschefs die Entscheidung. Die Auflösung ist die Voraussetzung für die Neuwahl des Landtags, die bisher für den 26. September zusammen mit der Bundestagswahl vorgesehen war.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

"Sehr bitterer Tag für uns"

"Es ist ein sehr bitterer Tag für uns", sagte Linke-Fraktionschef Steffen Dittes. Man habe sich mit der Entscheidung schwer getan und seine "sehr emotionale Diskussion geführt".

In einer gemeinsamen Pressekonferenz sprachen auch Matthias Hey (SPD) und Astrid Rothe-Beinlich (Grüne) von einem bitteren Tag. Einen zweiten Versuch, die Landtagsauflösung doch noch herbeizuführen, werde es nicht geben. „Es steht einem Parlament nicht an, im Jahresrhythmus über seine Auflösung zu diskutieren“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken Dittes. SPD-Fraktionschef Hey und die Vorsitzende der Grünen-Fraktion Rothe-Beinlich äußerten sich ähnlich.

Die drei Politiker warben stattdessen darum, jetzt den Blick nach vorne zu richten. Einen neuen Stabilitätspakt mit der CDU werde es nicht geben, stattdessen müsse es offene Gespräche mit CDU und FDP geben. "Wir müssen jetzt unter Demokraten versuchen, dieses Land auf Kurs zu halten", so Matthias Hey.

Voigt: Mehrheit im Parlament steht

"Mit diesem Rückzug nimmt die Linke den Bürgerinnen und Bürgern die Chance, am 26. September 2021 den Thüringer Landtag neu zu wählen", schrieb dagegen CDU-Fraktionschef Mario Voigt auf Twitter. Die Mehrheit im Parlament stehe und die Linke wolle sie nicht nutzen. "Damit riskiert RRG Stillstand für Thüringen, wo es einen Neustart braucht."

FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich schrieb auf Twitter: "Hier und heute ist nicht der Zeitpunkt für Schuldzuweisungen. Jetzt kommt es vielmehr darauf an, im Interesse des Landes den Blick nach vorn zu richten."

AfD-Fraktionschef Björn Höcke warf Rot-Rot-Grün und CDU vor, dem Thüringer Wähler dreist ins Gesicht gelogen und den Freistaat zum Gespött gemacht zu haben. Ministerpräsident Ramelow müsse unverzüglich die Vertrauensfrage stellen, wenn er "noch einen Rest Anstand hat".

Landtag sollte sich am Montag auflösen

Der Landtag wollte eigentlich am kommenden Montag über seine Selbstauflösung abstimmen. Die Entscheidung, die Unterschriften zurückzuziehen, fiel nach Sondersitzungen der beiden Fraktionen.

Nach dem Debakel bei der Wahl von Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) im vergangenen Jahr dürfte nicht riskiert werden, dass AfD-Stimmen den Ausschlag auch bei einer vorgezogenen Neuwahl des Parlaments geben könnten, erklärten die Fraktionsspitzen.

Eigentlich sollte die Landtagswahl parallel zur Bundestagswahl am 26. September stattfinden. Das ist jetzt nach den Fristen, die die Verfassung vorsieht, nicht mehr möglich.

Benötigte 60 Stimmen nicht erreicht

Die Entscheidung fiel, nachdem feststand, dass Rot-Rot-Grün und CDU, die den Auflösungsantrag Ende Juni gemeinsam eingereicht hatten, die nötigen 60 Stimmen nicht aufbringen können, obwohl sie zusammen 63 Abgeordnete haben. Vier Abgeordnete der CDU versagten ihre Zustimmung und auch zwei der Linken, die auf die Vertragstreue der CDU pochten. Hinzu kam, dass sich eine Abgeordnete der Linken bei einem Unfall so schwer verletzte, dass sie voraussichtlich nicht zu der Abstimmung am Montag hätte kommen können.

Thüringens rot-rot-grüne Minderheitskoalition mit Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) an der Spitze fehlen vier Stimmen für eine eigene Mehrheit im Landtag, sie ist damit bei Entscheidungen im Parlament bisher auf die Unterstützung der CDU angewiesen. Dazu war im März 2020 ein befristeter Stabilitätspakt abgeschlossen worden, der ausgelaufen ist.

Fast 60 Prozent der Thüringer für vorgezogene Neuwahlen

Die Zustimmung der Thüringer Wählerinnen und Wähler für eine Neuwahl des Landtags bleibt dabei nach wie vor hoch. Laut einer repräsentativen Umfrage des Erfurter Meinungsforschungsinstitutes Insa im Auftrag dieser Zeitung fänden es 57 Prozent gut, wenn am 26. September der Landtag zusammen mit dem Bundestag neu gewählt würde. Nur zehn Prozent halten es für eine schlechte Idee.

23 Prozent erklärten, ihnen sei das Thema egal. Sieben Prozent sagten, sie wüssten keine Antwort; drei Prozent machten keine Angabe. Befragt wurden 1006 volljährige Menschen aus Thüringen telefonisch und online vom 9. bis 15. Juli.

Mehr zum Thema: