Erfurt/Leinefelde-Worbis. Mehrere Hundert Reichsbürger wollen sich am Wochenende bei einem Vernetzungstreffen im Eichsfeld versammeln. Die Polizei führt „engmaschige Kontrollen“ durch. Zwei vorläufige Festnahmen.

Im Eichsfeld hat am Freitag ein Treffen der bundesweiten Reichsbürgerszene begonnen. Ort ist die Bonda-Ranch, eine großzügige Pferdereitanlage mit Veranstaltungsräumlichkeiten in Leinefelde-Worbis. Man plane mit „circa 400 Teilnehmern“, sagte ein Mitarbeiter der Ranch auf Anfrage dieser Zeitung. Das Treffen, das bis Sonntag dauern soll, firmiert unter dem Namen „2. Zukunftskongress Deutschland“.

Die Polizei ist mit einem Aufgebot vor Ort und steht nach eigenen Angaben im Austausch mit der zuständigen Ordnungsbehörde. Die Veranstaltung sei unter Auflagen genehmigt. Weitere Angaben dazu wurden nicht gemacht. Die Polizei führte „engmaschige Kontrollen“ durch – etwa Identitätsüberprüfungen. Erwartet würden 100 bis 150 Personen, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Gegen zwei Menschen seien Haftbefehle vollstreckt worden. Sie wurden vorläufig festgenommen, aber nach einer Geldzahlung ausgelöst, hieß es aus Sicherheitskreisen.

Reichsbürger leugnen die Existenz der Bundesrepublik

Die Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss hatte im Vorfeld an das Innenministerium appelliert, kurzfristig alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um gegen die Veranstaltung vorgehen zu können und diesen Personenkreis, von dem eine erhebliche Gefahr ausgehe, nicht aus dem Blick zu verlieren.

Die Betreiberin der Pferde-Ranch sei bereits in rechten Telegram-Gruppen wie „Eichsfeld wacht auf“ aus dem Umfeld der Corona-Leugnerszene bekannt und unter anderem auch Mitglied in der Telegramgruppe, über die das Reichsbürger-Treffen organisiert wird. „Erst vor drei Monaten fand auf dem Gelände offenbar ein Vortrag eines bekannten Reichsbürger-Ideologen aus Leipzig statt, der eine Woche nach der Razzia gegen Prinz Reuß in Thüringen bei einer Veranstaltung in Hannover über seine Verbindungen zum mutmaßlichen Rädelsführer der Patriotischen Union prahlte“, sagte König-Preuss.

Als „Reichsbürger“ werden Menschen bezeichnet, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen. Sie lehnen unter anderem die demokratische Ordnung in Deutschland ab und sind der Auffassung, die Bundesrepublik sei „besetzt“.

Menschen kommen zum Veranstaltungsgelände eines mutmaßlichen Reichsbürgertreffens.
Menschen kommen zum Veranstaltungsgelände eines mutmaßlichen Reichsbürgertreffens. © dpa

Thüringen seit den 1990er-Jahren Treffpunkt der Szene

Auch die Mobile Beratung in Thüringen für Demokratie – gegen Rechtsextremismus (Mobit) hat das Treffen im Blick. „Weil wir die Gefahr sehen, die von der Reichsbürger-Szene ausgeht, beobachten wir die Entwicklung mit Sorge. Es besteht immer die Möglichkeit, dass es zu Gewalt gegen Vertreter von Verwaltungen oder Sicherheitsbehörden kommt“, sagt Felix Steiner von Mobit dieser Zeitung. „Wer dieser Ideologie anhängt, der ist für die Demokratie verloren.“

Dass es im Freistaat vermehrt zu Zusammenkünften kommt, ist für den Mobit-Berater nicht überraschend. Thüringen sei seit den 1990er-Jahren ein Treffpunkt der Reichsbürger-Szene bundesweit. „Neu ist die Dimension der Teilnehmerzahl, die im Bereich von 200 bis 300 Personen liegt“, sagt Steiner. Die Szene sei im Zuge der Corona-Krise und der dadurch aufkommenden Pandemieleugner gewachsen und habe sich teilweise radikalisiert.

„Bei Reichsbürgern hilft wie bei allen Extremisten nur klare Kante, Repressions- und Verfolgungsdruck. Hier müssen die rechtlichen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden“, sagte der CDU-Innenexperte Raymond Walk dieser Zeitung. Thüringen habe die Schallmauer von 1000 Reichsbürgern überschritten. Der Anstieg sei dramatisch. Wenn man das ins Verhältnis zur Bevölkerung setze, stehe der Freistaat mit Bayern an der Spitze. „Unter den Reichsbürgern haben wir 35, die der rechtsextremen Szene zugehörig sind. Und darunter befinden sich nach wie vor auch Waffenbesitzer“, so Walk. Die Landesregierung sei nicht untätig gewesen und habe Stabsstellen eingerichtet, die die Behörden vor Ort unterstützen.

Enormer Vernetzungsgrad und Gefährdungspotenzial

„Grundsätzlich haben wir das Problem, dass die Reichsbürger-Szene unterschätzt und kleingeredet wird. Nach dem Motto: Das sind nur ein paar Spinner“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Madeleine Henfling, dieser Zeitung. Es gebe einen enormen Vernetzungsgrad. Die Sicherheitsbehörde müssten einen wachen Blick darauf haben. „Denn davon geht aus meiner Sicht ein ordentlichen Gefährdungspotenzial aus“, so Henfling.

Dem Programm zufolge, das dieser Zeitung vorliegt, wird als Redner unter anderem Veikko Stölzer erwartet, der für seine Verschwörungsmythen bekannt ist. Auch der Chef der „Freien Sachsen“, Martin Kohlmann, ist auf der Ankündigung zu finden. Das Bündnis wird vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft.

Im Herbst 2022 bereits ein „Zukunftskongress“ in Pfiffelbach

Bereits im Herbst 2022 waren etwa 200 bis 300 Reichsbürger für einen Zukunftskongress nach Piffelbach bei Weimar gereist. „Unter den Teilnehmenden befanden sich bekannte Neonazis, darunter auch der Neonazi-Musiker und Holocaust-eugner Axel Schlimper, gegen den bereits in der Vergangenheit Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung liefen, erinnerte König-Preuss.

Ranch-Betreiberin Yvonne Bonda war für diese Zeitung nicht zu sprechen. Er dürfe ihre Telefonnummer nicht weitergeben, sagte ein Mitarbeiter.

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