Erfurt. Hermann Binkert, Torsten Oppeland und Jan Hollitzer analysieren in der politische Talksendung die Auswirkungen des vergangenen Wahlsonntags auf die Landtagswahl in Thüringen.

Ist die AfD eine bürgerliche oder doch eher ein nationalistische Partei? Seit eine Fernsehmoderatorin am Wahlabend von Sachsen und Brandenburg – ob nun versehentlich oder nicht – ausgerechnet den sächsischen Landesverband im bürgerlichen Lager verortete, ist ein alter Streit neu ausgebrochen.

„Das sind Wertungsbegriffe“, antwortet Torsten Oppelland, als er dazu befragt wird. Und diese Wertung richte sich nach der jeweiligen, subjektiven politischen Positionierung. Da wolle er nicht der Schiedsrichter sein.

Hermann Binkert formuliert es ähnlich vorsichtig. „Wenn Sie Wähler der AfD fragen, werden sie sich als bürgerlich-konservativ einschätzen“, sagt er. „Wenn Sie die anderen fragen, werden sie das verneinen.“

TA Polit-Talk "Am Anger" über die Landtagswahlen

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    Die politische Gegenwart einzuordnen: Das ist auch für Einordnungsprofis nicht immer einfach. Oppelland arbeitet als Professor für Politikwissenschaft an der Universität Jena und hat erst im vergangenen Jahr einen großen Sammelband zu der Thüringer Regierungsgeschichte veröffentlicht. Hermann Binkert war mal Staatssekretär von Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) und führt seit inzwischen zehn Jahren das Erfurter Meinungsforschungsinstitut Insa.

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    Die beiden sind Gast der Sendung „Am Anger“, die in regelmäßigen Abständen von Salve TV und der Thüringer Allgemeinen produziert wird. Das Thema der aktuellen Folge, die ab heute ausgestrahlt wird: Was bedeuten die Ergebnisse der Wahlen in Sachsen und Brandenburg für die Landtagswahl am 27. Oktober in Thüringen?

    Die zentrale Erkenntnis für Binkert: In beiden Ländern haben die Parteien, die den Ministerpräsidenten stellen, vor der Wahl noch einmal stark zugelegt. Gerade weil die Umfragen lange nicht gut für die CDU in Sachsen und die SPD in Brandenburg aussahen, sei es zur Solidarisierung gegen die AfD gekommen. So seien auch Wähler, die eigentlich die Absicht hatten, Linke und Grüne zu wählen, am Ende auf die SPD oder gar die Union umgeschwenkt.

    In Thüringen, sagt Binkert, dürfte im Oktober die Linke mit Ministerpräsident Bodo Ramelow von diesem Doppeleffekt aus Polarisierung und Amtsbonus profitieren. Wobei dies, fügt Oppelland an, nicht das einzige Dilemma der Union sei, die als immer noch größte Partei seit 2014 erstmals in der Opposition sitzt. Es gebe kein großes Konfliktthema, sagt er. So habe die CDU das Pech, dass Rot-Rot-Grün die Kreis- und Gemeindegebietsreform abgeräumt habe – wobei Oppelland nicht erwähnt, dass es eine Klage der CDU-Fraktion war, die für das endgültige Aus des davor bereits gefährdeten Projekts sorgte. Auch ansonsten, sagt der Politikprofessor, fehle es im Wahlkampf an Reibungspotenzial. Alle wollten mehr Polizisten und Lehrer einstellen, alle seien gegen Unterrichtsausfall.

    Zudem, findet jedenfalls Oppelland, scheine der Spitzenkandidat der CDU nicht so richtig einzuschlagen. Dabei sei Landespartei- und Fraktionschef Mike Mohring „eigentlich ein charismatischer Redner“. Jedoch: „Im Fernsehen und bei anderen Anlässen scheint das nicht so rüberzukommen.“

    Auf der anderen Seite, erklärt der Politikwissenschaftler, habe dagegen Ramelow sein Amt „sehr geschickt“ genutzt: „Als Person ist er schon in der Lage, viele Personen zu überzeugen.“

    Dieser persönliche Faktor erscheint Hermann Binkert jedoch als gar nicht so wichtig. „Es ist der Amtsbonus“, sagt er – und nichts anderes. Wäre der CDU-Landesvorsitzende Regierungschef, würde ihm der ganze Effekt nutzen, vom dem jetzt Ramelow profitiere.

    Mohrings beste Chance, trotzdem Ministerpräsident zu werden, ist aus Sicht des Insa-Chefs – die FDP. Der große Unterschied zu Sachsen und Brandenburg, wo die Liberalen wieder an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, besteht gemäß Binkert darin, dass die FDP „ein Funktionsargument“ habe: Falls sie es in den Landtag schaffe, werde es für Rot-Rot-Grün ganz schwer, wieder eine Mehrheit zu bilden.

    Da man schon mal bei kleinen Parteien angelangt ist, spricht TA-Chefredakteur Jan Hollitzer als Moderator der Sendung die SPD an. War es wirklich klug für den in Umfragen beliebten Landesparteichef Wolfgang Tiefensee, sich erstmals nicht Ministerpräsidentenkandidat zu nennen? Ja, antwortet Professor Oppelland. Schließlich habe doch der sozialdemokratische Wahlkampf 2014 „vor allem unter der Unglaubwürdigkeit gelitten, dass Heike Taubert durch das Land zog und sagte, sie wolle Ministerpräsidentin werden“.

    Tatsächlich liegt die SPD in den aktuellen Umfragen sogar nur halb so hoch wie damals. „Das Interessante ist, wie schnell man sich an schnelle Werte gewöhnt“, sagt dazu Meinungsforscher Binkert. Der Grund liege dabei vor allem im schlechten Bundestrend, wobei der Kandidatenwettbewerb um den Parteivorsitz die Werte jetzt leicht ansteigen lasse.

    Oppellands Fazit: Im Moment sehe es für Rot-Rot-Grün gar nicht schlecht aus, aber es werde knapp.

    Traditionell sei Thüringen „ein enges Land“, ergänzt Binkert. Am Ende komme es darauf ein, wer seine eigenen Leute am besten mobilisiere.

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