Erfurt. Kann der Thüringer Ministerpräsident im dritten Wahlgang mit mehr Nein- als Ja-Stimmen gewählt werden? Es wäre im Sinne der Verfassung, sagt der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner.

Nach Auffassung des Jenaer Verfassungsrechtlers Michael Brenner kann Bodo Ramelow (Linke) auch mit mehr Nein- als Ja-Stimmen zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt werden. Andernfalls werde dem Landtag das Recht vorenthalten, einen Minderheitsministerpräsidenten zu wählen, sagte Brenner im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Das, meine ich, wird aber der Intention der Verfassung nicht gerecht», sagte Brenner, der deutsches und europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt.

Laut Thüringer Landesverfassung wird der Ministerpräsident mit der Mehrheit der Stimmen im Landtag gewählt - also der absoluten Mehrheit. Scheitert der Kandidat in den ersten beiden Wahldurchgängen, «so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält», heißt es in der Landesverfassung. Was das bei einem einzigen Kandidaten konkret bedeutet - darüber gibt es unterschiedliche juristische Auffassungen.

Juristische Gutachten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen

Nach einem Gutachten des emeritierten Düsseldorfer Jura-Professors Martin Morlok aus dem Jahr 2014 kommt es im dritten Wahlgang nur auf die Ja-Stimmen an. Demnach wäre Ramelow auch mit nur einer Ja-Stimme gewählt - wenn es keine Gegenkandidaten mit mehr Ja-Stimmen gibt. Dagegen vertrat der ehemalige Direktor des Deutschen Bundestages, Wolfgang Zeh, in einem weiteren Gutachten die Auffassung, dass zwingend mehr Ja- als Nein-Stimmen notwendig sind.

Brenner verweist auf das Recht der Abgeordneten, einen Regierungschef zu wählen. Die Legitimation des alten Landtages sei nach der Wahl erloschen, die Landesregierung nur noch geschäftsführend im Amt. «Wenn der neue Landtag gewählt worden ist, ist dessen vorrangige, verfassungsmäßige Aufgabe, dass ein neuer Ministerpräsident gewählt wird, eine neue Regierung ins Amt gebracht wird», sagte Brenner.

Gelte aber der Grundsatz, dass mehr Ja- als Nein-Stimmen nötig sind, die in der politischen Praxis nicht erreicht werden können, könne dies dazu führen, dass über längere Zeit kein Regierungschef gewählt werde und die alte Regierung weiter geschäftsführend im Amt bleibe. «Damit wird dem Landtag das Recht entzogen, einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen, auch vielleicht einen mit relativer Mehrheit», sagte Brenner.

Thüringer Problem auch bei Bundeskanzlerwahl denkbar

Das gleiche Problem wie in Thüringen sei auch auf Bundesebene bei der Kanzlerwahl denkbar. Denn auch nach dem Grundgesetz ist im dritten Wahlgang gewählt, «wer die meisten Stimmen erhält».

Allerdings gab es eine Situation wie in Thüringen bundesweit bislang noch nicht. Nach der Landtagswahl wollen Linke, SPD und Grüne eine Minderheitsregierung starten - ohne feste Zusagen für eine Unterstützung aus den Reihen der Opposition. Auch haben AfD, CDU und FDP bereits angekündigt, Ramelow nicht mitwählen zu wollen. Thüringens CDU-Chef Mike Mohring hatte zuletzt gefordert, noch vor der Wahl Ramelows, die bisher für den 5. oder 6. Februar geplant ist, für Rechtssicherheit zu sorgen und die Wahl zu verschieben. Laut Brenner könne für eine rechtliche Klärung nur der Thüringer Verfassungsgerichtshof sorgen - nach der Wahl.

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