Martin Debes über den Noch-CDU-Landeschef.

Am Wochenende teilte Mike Mohring über die Zeitung Bild am Sonntag mit: „Jetzt steht eine wie auch immer geartete vertragliche Vereinbarung für eine Tolerierung einer rot-rot-grünen Regierung durch die CDU im Raum. Das ist das Gegenteil unseres zentralen Wahlversprechens. Deswegen gebe ich parallel zur Wahl des neuen Fraktionsvorstands auch mein Amt als Parteivorsitzender der CDU Thüringen zurück.“

Jemand, der die vergangenen Monate auf einem fernen Planeten ohne Internetanschluss verbracht hätte, könnte in Anbetracht dieser präzise gesetzten Worte auf die Idee kommen, dass hier endlich mal ein Politiker das tut, was immer von ihm verlangt wird: Verantwortung übernehmen.

Doch auf dem kleinen Thüringer Asteroiden, der gerade in eine ziemlich ungewisse Richtung rast, weiß man leider nur zu gut, dass diese Sätze das Gegenteil davon bedeuten. Um den unschönen Vorgang möglichst nüchtern zu beschreiben: Hier stiehlt sich ein Politiker, der sowieso vor dem Rücktritt stand, feige aus seiner Verantwortung für den selbst mit angerichteten Schlamassel und gibt seinen Parteifreunden noch ein paar fiese Schläge von hinten mit.

Nun wäre Mike Mohring nicht Mike Mohring, wenn er sich die Formulierung nicht genau überlegt hätte. Sie ist, für sich genommen, erst einmal wahr: Die CDU hatte ja im Wahlkampf versprochen, Bodo Ramelow zu entmachten. Und sie hatte, nachdem der linke Ministerpräsident im Oktober seine rot-rot-grüne Landtagsmehrheit verloren hatte, einstimmig beschlossen, ihn nicht wieder ins Amt gelangen zu lassen. Jetzt also, da genau dies passieren könnte, geht Mohring. Was, hören wir aus Apolda rufen, ließe sich dagegen Vernünftiges sagen?

Die Antwort: Einfach alles.

Seit dem vergangenen Sommer, als die schwierigen Mehrheitsverhältnisse längst absehbar waren, hatte Mohring Geheimgespräche mit Ramelow geführt, die nach der Wahl zu Verhandlungen über eine gemeinsame Regierung führen sollten. Am Wahlabend und am Morgen danach testete der CDU-Landeschef sogleich eine mögliche Kooperation in den Medien und im Bundespräsidium aus, wobei er eher ungeschickt und völlig unabgestimmt vorging.

Doch als der Protest anschwoll, vollzog Mohring die panische Kehrtwendung. Binnen Stunden reifte er zum Antikommunisten, der seinen Fraktionsvize nicht dabei aufhielt, Gespräche mit der AfD zu propagieren. Als das auch wieder nur zu Protest und unangenehmen Anrufen aus Berlin führte, nahm er die Geheimgespräche mit Ramelow wieder auf, die über den Umweg von Joachim Gauck zu Dieter Althaus zum Vorschlag der dunkelrot-schwarzen „Projektregierung“ führte – was aber, da nun Rot-Rot-Grün nahezu ausverhandelt war, zu spät kam.

Es folgten die Wahl des Ministerpräsidenten Kemmerich, vor der Mohring einerseits intern warnte, sie aber andererseits zuließ, und die Debatte über eine Übergangsregierungschefin Lieberknecht, die Mohring einerseits begrüßte und andererseits ausbremste. Seine notorische, fast schon wesenseigene Ambivalenz diente, wie in den Jahrzehnten zuvor, ausschließlich dazu, seine Macht abzusichern.

Denn egal, wie sich die Dinge entwickelten: Stets konnte Mohring sagen, er habe es doch so oder so gewollt – oder eben nicht so oder so. Je nachdem. Schuld an Niederlagen trugen innerparteiliche Gegner, fiese Journalisten, die doofe Bundespartei, die widrigen Umstände oder das schlechte Wetter. Immer war er Opfer, nie Täter.

Das letzte Beispiel für sein Handlungsmuster lieferte er vorige Woche. Am Mittwoch, nachdem ihn die Fraktionsmehrheit zum Rücktritt am 2. März genötigt hatte, sagte Mohring in die Kameras, dass die CDU in ihren Möglichkeiten „eingemauert“ sie. Sie habe daher gar keine andere Wahl, als irgendwie mit Ramelow und der Linken zu kooperieren.

Am Wochenende, nachdem die Fraktion sich genau auf diesen Weg begeben hatte und im Epizentrum der nationalen CDU-Entrüstung stand, verkündete Mohring voller Abscheu über den Wortbruch seinen beschleunigten Abgang. Es ist der klassische Mike-Pilatus-Move: täuschend, taktisch und tricky.

Dass jetzt von der Thüringer CDU nicht mehr viel übrig ist, hat mit vielen Dingen, Entscheidungen und Menschen zu tun. Doch die zentrale Verantwortung dafür trägt ihr Noch-Vorsitzender Mohring – ganz egal, ob er sie nun selbst übernimmt oder nicht.