Martin Debes über die neue politische Dynamik.

Seit dem 4. März heißt der Thüringer Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz Dirk Adams. Um die Beförderung des Mannes, der zuvor die kleine grüne Fraktion im Landtag leitete, hatte es einiges peinliches Hin und Her gegeben, parallel zu dem noch peinlicheren Hin und Her um die Wahlen des Ministerpräsidenten.

Aber das sollte mit der Kabinettsbildung vorbei sein. Es begann die gute Jahresfrist, in der sich Adams Bekanntheit und Respekt erarbeiten sollte. Ein erfolgreicher Minister Adams könnte, so lautete zumindest die fromme Idee, der Partei zur Neuwahl im April 2021 helfen, wieder in den Landtag zu gelangen – mit dem Nebeneffekt, dass die Erinnerung an seinen Amtsvorgänger nebst dessen Affäre verblassen würde.

Doch dann begann das, was Corona-Krise genannt wird. Der neue Minister war nur eine Woche im Amt, als das öffentliche Leben eingestellt wurde. Adams konnte nicht einmal mehr alle leitenden Beamten seines Ressorts kennenlernen oder die Antrittsbesuche in den Gerichten absolvieren.

Seitdem ist von dem Minister wenig zu hören, abgesehen von seiner – folgenlosen – Ansage, dass Thüringen bis zu 250 Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen könne. Selbst als Verfassungsminister kann Adams kaum etwas zu der drakonischen Einschränkung der Grundrechte beitragen: Als Nichtjuristen fehlt ihm die Expertise.

Hinzu kommt für Adams das neue, grundsätzliche Problem seiner Partei, die gerade im Bund von der gefühlten Kanzlerpartei auf Normalmaß geschrumpft ist: Während der Pandemie geht es nicht mehr um den Klimaschutz, sondern um Krankenhäuser, Kinderbetreuung und sonstige, sehr akute Katastrophenszenarien.

Dass gerade jetzt, da alles infrage steht, Gelegenheit wäre, Wirtschafts- und Konsumkreisläufe zu ändern: Dieser sinnfällige Gedanke erscheint angesichts der akuten und aktuellen ökonomischen und sozialen Verwerfungen nicht einmal mehr klienteltauglich.

Nicht nur die Grünen müssen feststellen, dass die Krise den Rahmen des Politikbetriebs radikal verschiebt. So war in der ersten Schockphase allein die Exekutive sichtbar, wovon aber – siehe Grüne – fast ausschließlich jene Regierungsparteien profitierten, welche die Kanzlerin oder Ministerpräsidenten stellten. So hat die SPD, die sich (wieder einmal) in Bund und Land mit den meisten Initiativen hervortut, (wieder einmal) selbst herzlich wenig davon. Was für Thüringen heißt: Am Ende gewinnt sowieso Bodo Ramelow.

Allerdings, für die Opposition lief es noch schlechter, ihr war die parlamentarische Bühne fast vollständig genommen. Erschwerende kam hinzu, dass sie viele Maßnahmen kaum kritisieren konnte, ohne als jemand dazustehen, dem der Schutz des menschlichen Lebens egal ist. Entsprechend bemüht wirkten ihre Initiativen.

Doch das ändert sich gerade, ein wenig jedenfalls. So vermag die CDU der rot-rot-grünen Minderheitsregierung im Gegenzug zu ihren Parlamentsstimmen das eine oder andere abzuverlangen. Fast noch tröstlicher für sie: Obwohl seit ihrer öffentlichen Selbstzerstörung nur wenige Monate vergangen sind, wirkt diese Zeit inzwischen wie eine ferne Erinnerung.

Das verschafft der Landespartei und der Fraktion die nötige Zeit, die geschlagenen Wunden zumindest vernarben zu lassen.

Auch der kleinen FDP kann es nur Recht sein, dass der Monat, in dem sie den Ministerpräsidenten von der traurigen Gestalt stellte, kaum noch thematisiert wird. Ja, die Corona-Dauerhektik verdeckt sogar gnädig den absurden Umstand, dass den Liberalen zwischenzeitlich im Landtag beinahe eine Abgeordnete nebst dem Fraktionsstatus abhandenkam.

Besonders orientierungslos wirkt eher eine andere Partei, und das ist die AfD. Das mag auch daran liegen, dass im Lagerkoller die Lagerkämpfe zunehmen, derweil der Verfassungsschutz der Partei unangenehm nahe rückt. Vor allem aber sind der AfD, da gibt es eine Parallele zu den Grünen, vorerst ihre Kernthemen abhandengekommen. Wenn die Grenzen dicht sind und die nationalstaatlichen Interessen dominieren, können selbst migrationsfeindliche Chauvinisten schwerlich noch eins drauf setzen.

Aber das ist nur der momentane Stand der politischen Dinge. Diese Krise ist ebenso dynamisch wie die Ausbreitung des Virus, niemand kann mehr als eine Inkubationsperiode nach vorn schauen. Der extremistische Populismus ist also nicht einfach verschwunden. Er befindet sich bloß in Quarantäne.