Heiligenstadt. Anlässe sind Erntedank, Mauerfall und eine Partnerschaft mit einer Gemeinde in Hessen. Pfarrerin mahnt: Über den Tellerrand hinaussehen.

Gleich dreifachen Grund zur Freude hatte die evangelische St.-Martin-Gemeinde am vergangenen Sonntag. Gemeinsam mit Christen aus der Emmaus-Gemeinde Rodgau-Jügesheim im Landkreis Offenbach in Hessen wurde der Erntedankgottesdienst gefeiert und des 30. Jahrestages des Mauerfalls gedacht. Ein weiterer Anlass, ein kleines Jubiläum, führte die Christen beider Gemeinden zusammen, besteht doch ihre Partnerschaft, verbunden mit persönlichen Freundschaften, seit 1984.

Erste Gespräche hierzu hatten – so weiß es auch Horst Sievers, Vorsitzender des Heiligenstädter Gemeindekirchenrates – 1983 stattgefunden und zur Beschlussfassung geführt. Federführend hierbei waren die inzwischen verstorbenen Geistlichen Pfarrer Roth von hessischer Seite und aus dem Eichsfeld Superintendent Lange. Freilich waren die Besuche zunächst einseitig geblieben, durften doch die evangelischen Christen aus Thüringen nicht nach dem Westen fahren. Am 29. September 2019 gehörten die Familien Simon und Lott zu den ältesten Gästen aus der Emmaus-Gemeinde, waren sie doch schon dabei, als begonnen wurde, die Partnerschaft mit Leben zu erfüllen.

Niemand hatte Mitte der 1980er-Jahre mit einer entscheidenden politischen Wende im November 1989 gerechnet. Auch nicht Pfarrerin Sabine Beyer aus dem Dekanat Rodgau. Sie ging damals noch zur Schule und war vor fünf Jahren erstmals mit Angehörigen der Partnergemeinde nach Heiligenstadt gekommen. Als Gastgeschenk hatte sie, ein Symbol des Erntedankes und des Teilens, ein großes Brot mitgebracht, das in der geschmückten Kirche einen würdigen Platz auf dem Altar erhielt. Der Inhalt eines von ihr überreichten Sparschweins soll Pfarrer Johannes Möller und der St.-Martin-Gemeinde helfen, die Kosten für die Reparatur ihres unwettergeschädigten Kirchturmes zu stemmen.

Zum Thema „Teilen“ unterstrich Pfarrerin Beyer in ihrer Festpredigt: „Wir teilen persönliche Erinnerungen und Erinnerungen aus der Geschichte.“ Weil Erntedank begangen wurde, lautete ihr Wunsch, die Menschen in Deutschland mögen mit dankbarem Blick auf ihre gedeckten Tische schauen und dabei über den Tellerrand hinaussehen. Manche hätten Angst, wenn Flüchtlinge zu uns kämen, würden ihnen persönlich dadurch soziale Leistungen weggenommen. 821 Millionen Menschen auf unserer Erde, besonders Kinder, seien unterernährt, müssten Hunger leiden. „Es geht uns hier in Deutschland besser als den meisten Menschen auf der Welt“, hob sie hervor.

Von einer nicht nur auf dem Papier verankerten Partnerschaft sprach Ute Althaus. Die Erste Beigeordnete übermittelte die Grüße von Bürgermeister Thomas Spielmann. In aller Kürze stellte sie die Stadt und die Kur vor, verbunden mit der Einladung an die Gäste, bald wiederzukommen. Die Versammelten wussten: Auch das wäre in der DDR unmöglich gewesen. Eine Vertreterin der Stadtverwaltung, also aus der politischen Gemeinde, spricht in der Kirche zu ihnen.

Dem Gottesdienst schlossen sich Stunden der Begegnung an. Im Gemeindehaus wurden Erinnerungsfotos ausgetauscht, bevor Altbürgermeister Bernd Beck seine Präsentation zur Stadtentwicklung zeigte. Danach lud Stadtführerin Sigrid Seifert zum Rundgang ein. Zum Ausbau der partnerschaftlichen Beziehungen regte Pfarrerin Beyer einen Jugendaustausch an.