Eichsfeld. Sebastian Döring aus Siemerode im Eichsfeld hat seine Tochter an eine seltene Erkrankung verloren. Sein Selbsthilfe- Verein will Betroffene auf eine Kreuzfahrt schicken.

„Es ist genauso, wie man es sich vorstellt. Man fällt in ein tiefes Loch“, sagt Sebastian Döring über den Moment, in dem er und seine Frau Annett erfuhren, dass ihre acht Monate alte Tochter Laura eine seltene und unheilbare Krankheit hat. Pontocerebelläre Hypoplasie, kurz PCH, ist eine angeborene fortschreitende Erkrankung des Gehirns, die mit einer Minderentwicklung des Kleinhirns und der angrenzenden Brücke einhergeht. 50 bis 60 Fälle sind in Deutschland bekannt. Das heißt, auf eine Millionen Einwohner kommt ein Kind mit dieser Erkrankung.

Sebastian Döring und seine Frau tragen beide die Erbinformation in sich. Beide wussten nichts davon. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Fall ein erkranktes Kind zur Welt zu bringen, liegt bei 25 Prozent.

„Natürlich stellt man sich dann die elementare Sinnfrage nach der Gerechtigkeit der Welt im Allgemeinen“, sagt der 43-Jährige aus Siemerode. „Aber man merkt schnell, dass das zu nichts führt, und dann stellt man sich der Aufgabe.“ Die Familie stand unterstützend hinter dem Paar, und es war ein „glücklicher Zustand“, dass Annett Döring selbst Ärztin ist.

PCH-Kinder wie Laura sind schwerst mehrfach behindert und sehr pflegeintensiv. Laura konnte nicht laufen oder sprechen, nicht selber essen und trinken. Relativ schnell war der höchst mögliche Pflegegrad erreicht, der zum Teil zu Hause, zum Teil im Krankenhaus stattfand. Sebastian Döring erzählt davon, dass eine Schwester jede Nacht am Bett von Laura saß, um ihre Werte zu überwachen.

Eine Magensonde erleichterte die Ernährung

Annett Döring arbeitete verkürzt, und auch die Großeltern halfen, wo sie konnten. Ebenso sei der Integrative Kindergarten der Awo in Leinefelde eine große Unterstützung gewesen. „Da ist Laura lange und gern hingegangen. Die machen da wirklich einen tollen Job.“ Hinzu kamen Entlastungsaufenthalte im Kinderhospiz Mitteldeutschland in Tambach-Dietharz.

Eine Magensonde, die Laura mit anderthalb Jahren eingesetzt bekam, vereinfachte die Ernährungssituation enorm, denn mit der Erkrankung gehen häufig ausgeprägte Schluckstörungen und damit verbundene Aspirationen einher. Damit bezeichnet man in der Medizin, dass zum Beispiel Nahrung in die Atemwege kommt. Trotzdem musste Laura zahlreiche Krankenhausaufenthalte über sich ergehen lassen und erlitt einige mittelschwere und schwere Infekte.

Die Lebenserwartung von PCH-Kindern liegt bei durchschnittlich vier Jahren. Laura wurde secheinhalb. Sie starb im Dezember 2016 an einer schweren Lungenentzündung.

„Das Leben mit Laura war schön, aber eben einfach anders als gedacht“, sagt Sebastian Döring. Die Schwangerschaft seiner Frau sei normal und ohne Komplikationen verlaufen. Erste Anzeichen hatte es dann bei der Geburt gegeben. Die Gewissheit kam mit einer genetischen Untersuchung in der Universitätsklinik in Göttingen. Zu dieser Zeit sei es sehr schwierig gewesen, an Informationen zur Krankheit zu kommen. Weder im Internet noch bei Fachärzten war mehr bekannt, als in den damals wenigen medizinischen Veröffentlichungen stand.

„Es war ein Segen, als wir Ende 2010 endlich andere betroffene Eltern zum Austausch gefunden hatten. Laura musste nicht mehr jedes eigentlich vermeidbare Problem ertragen, was andere Familien schon erfolgreich gelöst hatten. Wir waren nicht mehr allein.“

Was vor über 14 Jahren als Yahoo-Mailingliste begann, ist heute ein ehrenamtlich organisiertes Internet-Forum zur Selbsthilfe von Familien mit PCH-Kindern. In diesem Forum haben im Laufe der Zeit über 60 Familien knapp 17.000 Beiträge zu knapp 1100 Themen verfasst, erzählt Sebastian Döring.

„Das Forum ist so bunt wie das Leben mit einem behinderten Kind.“ Die Themen reichen vom Austausch zu Medikamenten, Therapien und Hilfsmitteln, über Auseinandersetzungen mit den Krankenkassen und den Behörden, die Bewältigung des Pflegealltags, Reiseberichte und Erfahrungen im Schulalltag bis hin zur Verabschiedung der Sternenkinder.

Die Selbsthilfegruppe ist über den gesamten deutschsprachigen Raum verteilt und hat seit 2009 insgesamt fünf Treffen organisiert. Bei diesen Treffen, die meist im Kinderhospiz stattfinden, tauschen sich die Eltern untereinander, aber auch mit professionellen Experten dieser Erkrankung aus. Ende 2018 gründeten einige der Eltern den Verein PCH-Familie, der die Arbeit der Selbsthilfegruppe auf eine stabilere Basis stellen soll.

Mit dem Schiff über die Ostsee

Und als erstes Projekt dieses Vereines soll es im kommenden Jahr auf eine Kreuzfahrt auf der Ostsee gehen. Cruise4Life nennt sich das Ganze, bei dem nach aktuellem Planungsstand 22 erkrankte Kinder mit ihren Eltern und Geschwisterkindern, etwa fünf Familien, deren Kind bereits an PCH gestorben ist, etwa zehn internationale Experten und ungefähr 100 Pflegekräfte an Bord sein werden. Außerdem dürfen die Familien eine Person als Begleitung einladen, bei der sie sich für die Unterstützung im Alltag bedanken wollen.

„Mit der Cruise4Life und der begleitenden Öffentlichkeitsarbeit wollen wir als Verein den Familien zusätzlich zum Austausch untereinander ein unvergessliches Erlebnis für alle Familienmitglieder schenken“, erklärt Sebastian Döring, der sich jetzt wie viele andere aus dem Verein aufgemacht hat, dafür Spendengelder zu akquirieren, denn das Projekt soll darüber finanziert werden. „Die Familien sollen dabei jede Menge Kraft tanken für kommende schwierige und anstrengende Zeiten der Hilflosigkeit mit ihren erkrankten Kindern“, führt er weiter aus.

Und auch die erkrankten Kinder werden eine tolle Zeit haben. Denn auch wenn sich Laura nie artikulieren konnte, habe man doch immer gewusst, ob sie sich in ihrer Umgebung wohlfühlte. „Die größten Erfolge waren ein Lächeln oder Lachen“, erinnert sich Sebastian Döring.

Dass viele PCH-Kinder älter werden als die prognostizierte Lebenserwartung, liege zum einen am medizinischen Fortschritt, aber auch daran, dass viel besser auf die Symptome der Erkrankung eingegangen werden kann. Dafür sei der Austausch sehr wichtig. Auch Mediziner sagen, dass die Eltern-Selbsthilfe bei seltenen Erkrankungen inzwischen ein wichtiger Bestandteil bei der Betreuung und Behandlung der Kinder geworden ist, erklärt Sebastian Döring.

Auf der Kreuzfahrt sollen einerseits die Erfolge im Streben nach Lebensqualität für die PCH-Kinder und ihre Familie gefeiert werden, andererseits aber auch der Grundstein gelegt werden für den nächsten großen Schritt: die Arbeit an einer PCH-Therapie.

Sebastian Döring und seine Frau sind übrigens im Dezember vergangenen Jahres Eltern von Zwillingen geworden. Luisa und Charlotte tragen das fehlerhafte Gen nicht in ihrer DNA. Sie sind kerngesund.

Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Spende gibt es auf www.cruise4life.de