Erfurt. Matthias Brenner erinnert sich an wilde Zeiten in Erfurt, Jazz in der „Erholung“ und unglückliche Dusche im Frack.

Matthias Brenner kennt man. Als kauzigen Pathologen Katzmann aus dem Bremen-Tatort, aus „Das Leben der Anderen“, aus dem Mehrteiler „Charité“ oder weiteren Film-Produktionen. Oder aus seinen fünf Erfurter Jahren am Schauspielhaus, dem jetzigen Kulturquartier im Klostergang. 1985 bis 1990 war er hier engagiert, in politisch wilden und für sein Schauspiel besonders wichtigen Jahren, wie er sich erinnert. Hier hat er auch das Jugendtheater Schotte mit aufgebaut.

Der 1957 in Meiningen geborene Schauspieler, Regisseur, Autor und Intendant des Neuen Theaters steckt aktuell in Halle tief im Stress zwischen diversen Premieren. Und dennoch steht der viel gefragte Mann am Sonntag, 22. September, wieder auf der Bühne in Erfurt. „Das Kulturquartier ist mir eine Herzensangelegenheit“, sagt er. Was kann da schöner sein, als gemeinsam mit Cornelia Heyse, der Ehefrau, „Doppelt verdientes Glück“ als Lesung und Spiel auf die Bretter zu bringen, die ihm so viel bedeuten.

„Erfurt ist ein besonderer Ort für mich: Hier habe ich viel gelernt, hier habe ich angefangen zu inszenieren, habe erste Leitungsverantwortung übernommen und sehr viel gespielt“, sagt Matthias Brenner. Viele Freunde habe er damals in der Stadt gehabt, über die oft engen Schauspielkreise hinaus. Nicht zuletzt durch die Arbeit an der Schotte habe er zu vielen Menschen in Erfurt Kontakt gehabt, zu den jungen Darstellern und deren Eltern ebenso.

„Wilde Zeiten waren das, auch politisch“, sagt Brenner: „Die Zeit von Gorbatschow, Tschernobyl, Wende. Und das Verhalten des Theaters zu diesen Themen jener Zeit, das hat uns geprägt.“

Als er vor drei Jahren erfuhr, dass das Schauspielhaus zum Kulturquartier werden soll, sei er gleich Feuer und Flamme gewesen. „Die Verwandlung“ von Kafka hat er vor zwei Jahren erneut in Erfurt gespielt, fast auf den Tag genau 30 Jahre nach seinem Spiel im Schauspielhaus. „Besonders emotional“, erinnert er den Moment. Voriges Jahr war er mit dem Stück „Der Trinker“ zu Gast, dieses Jahr mit „Doppelt verdientes Glück“ aus der Feder und an der Seite seiner Frau. „Geschichten und Gedichte, die wir performativ auf die Bühne bringen“, kündigt er an. Entschieden wird erst vor Ort und nach Wetter, ob sie draußen beginnen werden, es drei oder zwei Stationen geben wird.

Was bedeutet aber persönlich Glück für ihn? „Wenn wir eine Theaterarbeit machen, es eine gute Beziehung untereinander gibt und es eine schöne Geschichte wird, dann ist es ein innerer Erfolg. Wenn es sich dann noch auf Zuschauer überträgt, dann ist es auch ein äußerer Erfolg. Und wenn beides zusammenkommt, dann ist das für mich Glück“, wie er sagt. „Sich mitteilen zu dürfen, gehört zu werden und gleichzeitig auf Interesse zu stoßen – das ist ein großer Glücksumstand“.

Aber es gibt auch Momente des Scheiterns. Etwa jene Katastrophe, als er sich mit weiteren jungen Kollegen überlegt, „Ingeborg“ von Curt Götz auf die Bühne zu bringen. Sie arbeiteten intensiv daran, bis sie eine Woche vor der Premiere entsetzt feststellen müssen, dass sie zu unkritisch herangetreten sind und nun „bei jedem Schritt einbrechen“. Für Brenner ein höchst unglücklicher Moment, den er mit Erfurt verbindet. „Ich bin noch in der Probe unglücklich zur Kantine, habe ein Glas Wein bestellt. Danach bin ich auf dem Weg zur Garderobe, vom Wein erwischt, in die Dusche abgedreht und habe mich im Frack unter die Dusche gestellt. Wenn ich so aussehe, dann würden sie mich nicht mehr auf die Bühne lassen“, habe er sich gedacht, auf der Suche nach einem äußeren Grund in all seiner Verzweiflung. „Keine zehn Pferde bringen mich auf die Bühne“, habe er der Kollegin gesagt, die ihn schließlich unter der Dusche kauernd fand. Brauchte er auch nicht, der Intendant sagte das Stück ab: „Den Anzug reinigen sie selbst, alles andere kann passieren“, habe der damals gesagt.

Einen Erfurter Glücksmoment verbindet sich für Brenner mit politischer Wende. Gespielt wurde „Der Revisor“ im Schauspielhaus, nach dem Applaus wollte er eine selbstverfasste Resolution verlesen. „Es war eine heikle Situation. Ein Kollege sagte, er könne nicht mit auf die Bühne, der Familie wegen“.

Von Glücksmomenten und gescheiterten Ideen

Als Brenner dann den Text verlas, war der dann doch da und viele weitere Kollegen mit ihm, die aus dem Opernhaus, von der Technik und vom Ballett herübergekommen waren. „Sie standen an der Seitenbühne und warteten nur darauf, mir Unterstützung zu geben. Das war ein sehr glücklicher Moment!“

Außerhalb des Theaters erinnert sich Brennert an eine „wunderbare Kneipe“ in Erfurt. „Die Erholung“ hieß die, nicht weit vom Alten Opernhaus gelegen, meist überfüllt und Szenetreff. „Sie war mein Wohnzimmer in jenen Tagen, hier trafen sich interessante Leute“, so Brenner. Hierher kam man sonntags zum Jazzfrühstück. „Für fünf Mark gab es eine Kanne Kaffee, Ei, Toast dazu und wahlweise einen Wodka – und dort spielten Jazzmusiker an den Vormittagen, was ich unheimlich genossen habe. Wir wussten: Wenn wir zum Jazzfrühstück hingehen, werden wir die Kneipe nicht vorm nächsten Morgen verlassen.“ Schließlich, man war jung und Nachtschlaf verzichtbar.

Dem Kulturquartier versichert er seine Unterstützung:. „Es ist schon besonders, hier auf der Bühne zu stehen“, sagt Brenner. Als er mit Kafkas Verwandlung zurückkehrte, habe er die Akustik des Hauses „wiedererkannt wie einen Fingerabdruck“, der Rückhall des Raumes sei unverkennbar.

Und an noch eine jüngere Begegnung erinnert sich Matthias Brenner: Mit dem „Menschenfeind“ von Molière habe er in seinen jungen Erfurter Jahren auf der Bühne gestanden. Jetzt, viele Jahre später, kamen am Schauspielhaus zwei Menschen auf ihn zu, grüßten freundlich und dankten ihm. „Sie seien das erste Mal wieder hier, seit sie in den Westen gegangen seien. Den ‚Menschenfeind‘ hätten sie nie vergessen, er habe sie ermutigt damals, das Land zu verlassen“, sagt Brenner. Für ihn ein gutes, ein glückliches Gefühl: „In dieser Stadt war überhaupt nichts umsonst“, bilanziert er. Und das, auch wenn es offiziell kein Schauspiel mehr gibt“, wie er sagt. Und: „Schauspiel kann man niedertrampeln, aber die Wiese wächst wieder, Sie werden sehen: die Schauspielerei holt sich das Haus zurück.“

Programm-Überblick

  • Samstag, 10 bis 19 Uhr: Hereinspaziert – Kultur flaniert. Kulturelle Räume, darunter das Kulturquartier, stellen sich mit einem bunten Programm vor.
  • 15 Uhr: Premiere von White Widows, Dokumentarfilm über Indiens Baumwollbauern, Kleine Bühne.
  • 15 bis 21 Uhr: Ja, ich will! Du auch? – Kulturfinder-Picknick auf dem Freigelände.
  • 17 und 18 Uhr: Führungen durch das Schauspielhaus.
  • 20 Uhr: Reprise – Tanztheater von Ester Ambrosino.
  • Sonntag, 11 Uhr: Yoga mit Franzi.
  • 18 Uhr: Doppelt verdientes Glück, Lesung und Spiel