Göttingen. Alexander Kristoff siegte in Göttingen auf der Deutschland-Tour. Seine Oma wuchs in Erfurt auf, wo am Sonntag die Tour zu Ende geht.

Alexander Kristoff hatte mit einem höllischen Tempo von durchschnittlich 46 Kilometern pro Stunde das Ziel in Göttingen erreicht. Unterwegs blieb deshalb keine Zeit, mit einem Blick links und rechts die Landschaft zu genießen. Dafür belohnte sich der 32 Jahre alte Norweger mit dem Tagessieg und dem Roten Trikot des Gesamtführenden. „Das war eine unglaublich harte Etappe. Umso schöner ist es, dass ich gewonnen habe“, sagte der Radprofi, der tags zuvor in Halberstadt noch Zweiter geworden war und nun als Spitzenreiter der Deutschland-Tour nach Thüringen rollt.

Aber nicht nur wegen des sportlichen Höhenflugs steht Kristoff vor ganz besonderen Tagen. Die Schlussetappe am Sonntag von Eisenach nach Erfurt ist für ihn nämlich auch eine Reise in die Vergangenheit. Seine Oma, die inzwischen in Stavanger lebt, wurde einst in Erfurt groß, studierte hier Medizin, bevor damals die legendäre Friedensfahrt die junge Frau auf ganz besondere Weise in ihren Bann zog. Als die Pedaleure im Mai 1963 auch in Erfurt gastierten, verliebte sie sich in den norwegischen Rennfahrer Per Örn. Dieser war damals zwar abgeschlagen auf Platz 86 der Gesamtwertung gelandet, hatte dafür aber abseits der Rennradstrecke das große Los gezogen.

Die junge Erfurterin wanderte nach Norwegen aus, was damals in der DDR natürlich ein Politikum darstellte. „Meine Oma hat noch ein Haus in Arnstadt. Aber ich war schon lange nicht mehr in Thüringen“, sagte Tagessieger Kristoff, der bereits 2007 als Rennradfahrer durch die Heimat seiner Oma rollte und beim Klassiker „Rund um die Hainleite“ auf Platz 77 gelandet war. Nun, auf der zweiten Etappe der Deutschland-Tour, musste sich der dreifache Etappensieger der Tour de France ziemlich lange gedulden, bis er seine Siegchance bekommen sollte.

In dem rasanten Rennen hatte Remco Evenepoel, der Radsport-Aufsteiger der vergangenen zwölf Monate, mit einem Vorsprung von zwischenzeitlich 3:26 Minuten das Geschehen bestimmt. Der gerade einmal 19 Jahre alte Profi war erst vor zwei Jahren vom Fußballplatz in den Rennsattel gewechselt. Dabei feierte er auf Anhieb große Erfolge. Erst holte der junge Belgier im August 2018 in Glasgow zwei Titel bei der Junioren-Europameisterschaft, in diesem Jahr gewann der nur 1,71 Meter große und 61 Kilogramm leicht Radsport-Floh in Alkmaar die EM-Goldmedaille im Zeitfahren. In Göttingen war ihm aber kein Erfolg vergönnt. 9,5 Kilometer vor dem Ende war seine fast 100 Kilometer lange Solofahrt beendet. Eine 27 Fahrer große Gruppe jagte dem Ziel entgegen, wo Alexander Kristoff schließlich die Gunst der Stunde nutzte. Der Norweger landete vor dem Italiener Sonny Colbrelli, der in der Gesamtwertung als Zweiter zehn Sekunden zurückliegt.

In diesem Klassement ist derweil der Vorjahreszweite Nils Politt (Köln/16 Sekunden zurück) auf Platz elf der beste Deutsche. Auftaktgewinner Pascal Ackermann (Kandel) war 40 Kilometer vor dem Ziel entscheidend zurückgefallen, erreichte mit mehr als einer Viertelstunde Rückstand nur Platz 94 und hat mit dem Gesamtsieg nichts mehr zu tun.

Die erste Verfolgergruppe führte derweil Dominik Röber von der Thüringer Mannschaft P&S Metalltechnik an, der 1:22 Minuten hinter dem Tagesgewinner auf Rang 26 einkam. „Das hat er heute wirklich stark gemacht. Denn ich habe selten eine Etappe gesehen, wo das Tempo so hoch war“, sagte Manager Lars Wackernagel. Durch die hohe Geschwindigkeit war das Peloton auf den 202 Kilometern in mehrere Gruppen zerfallen, aber der erst 19 Jahre alte Röber behauptete sich wacker und lag damit im Ziel sogar noch klar vor dem lange in Führung fahrenden Remco Evenepoel.

Am heutigen Samstag nun rollt die Tour nach Eisenach, wo nach 189 Kilometern – gespickt mit drei Bergwertungen – der Tagessieger gekrönt wird. Alexander Kristoff ahnt schon, was auf ihn zukommt. „Das wird sicher noch härter als heute“, sagte der 32-Jährige, der zum Finale am Sonntag gewiss keine Gelegenheit bekommen wird, in Arnstadt am Haus seiner Oma vorbeizuschauen.

Tour-Zeitplan

Samstag:

  • Göttingen – Start 13.00 Uhr
  • Heiligenstadt – BW 13.56 Uhr
  • Treffurt – SW 15.00 Uhr
  • Hohe Sonne – BW 16.41 Uhr
  • Eisenach Rennbahn – SW 16.51 Uhr
  • Zieldurchfahrt Adam-Opel-Straße 16.55 Uhr
  • Vachaer Stein – BW 17.04 Uhr
  • Hohe Sonne – SW 17.18 Uhr
  • Ziel, Adam-Opel-Straße 17.32 Uhr

Sonntag, 1. September:

  • Eisenach – Start, Markt 11.40 Uhr
  • Arnstadt – SW 14.25 Uhr
  • Erfurt, Messe – SW 14.58 Uhr
  • Wartburgstraße – SW 14.59 Uhr Ziel, Messe 15.23 Uhr
  • BW = Bergwertung
  • SW = Sprintwertung