Erfurt/Berlin. Wenn Flüge nach Mallorca möglich sind, müssen auch Autoscooter wieder fahren dürfen. Die Schausteller wollen gleich behandelt werden - und fahren zum Protest in die Bundeshauptstadt.

Familie Krebs ist Donnerstagfrüh nicht allein nach Berlin. Die Schaustellerfamilien Rose, Haberkorn und Stoll aus Erfurt haben das gleiche Ziel, das diesmal kein Volksfest oder ein Rummel ist. Ziel ihrer Fahrt ist eine Demonstration mit Kundgebung am Brandenburger Tor. Ziel ihres Protestes ist die Politik, die wegen der Corona-Pandemie jegliche Großveranstaltungen bis Ende Oktober untersagt hat. Alle aktuellen Entwicklungen im kostenlosen Corona-Liveblog

Etwa 250 Schausteller aus ganz Thüringen nehmen in Berlin an einer Großdemonstration teil. "Es ist eine einmalige Gelegenheit, auf unsere Situation aufmerksam zu machen", erklärt René Otto, 1. Vorsitzender des Thüringer Schaustellerverbandes. Zur Kundgebung am Brandenburger Tor kamen laut Polizei 1600 Teilnehmer, die auch um die 1000 Fahrzeuge dabei hatten. Zuvor fuhren viele von ihnen in einem Korso durch die Innenstadt. Vor dem Wahrzeichen stellten Demonstranten Autoscooter-Fahrzeuge auf, an einem Kran schwebte die Gondel eines Riesenrades.

Das Verbot komme einem Berufsverbot für die Schausteller gleich, die ihre letzte Einnahmemöglichkeit auf Herbstfesten oder Weihnachtsmärkten des Vorjahres gehabt haben. Um auf diese dramatische Situation aufmerksam zu machen, hat Fritz Krebs mit seiner Familie an der Demo teilgenommen.

"Auf einem Festplatz ist es doch nicht anders als in einer belebten Einkaufsstraße. Die Geschäfte in der Stadt dürfen öffnen, wir Schausteller auf den Festplätzen aber nicht. Wir fordern Gleichbehandlung", sagt auch Fred Hofman-Jehn, Sprecher der Schausteller der Wartburgregion. Zwei große Fahrzeuge hat er mit Plakaten, etwa zum abgesagten Sommergewinn, mit nach Berlin genommen. "Zwei verregnete Monate können wir wegstecken, aber nicht ein ganzes Jahr ohne Einnahmen."

Schausteller können auf dem Markt aufbauen

Tatsächlich will die Eisenacher Stadtverwaltung den Schaustellern einige Stände und/oder kleine Fahrgeschäfte auf dem Markt einräumen. Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke) betrachtet das als Gewinn für beide Seiten. Schließlich werde die Innenstadt damit belebt.

Während laut Arbeitsagentur in Eisenach derzeit etwa 11.000 Menschen in Kurzarbeit sind, haben Schausteller derzeit so gut wie gar keine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Laufende Kosten gibt es dennoch. Ob die Präsenz auf dem Markt an sieben Tagen die Woche möglich ist, wie es die OB einräumte, muss Ordnungsamtsleiter Friedhelm Göpel erst prüfen. Vor allem am Mittwoch und Freitag ist der Markt mit Händlern schon ziemlich voll. Diese Händler sollen nicht beeinträchtigt werden.

Die Sondernutzungsgebühr würde auch für die Schausteller bis zum 31. August entfallen. Nur vier (von 140 möglichen) Unternehmen hätten laut Ordnungsamt bisher einen Antrag auf Rückzahlung der Gebühr gestellt. Insgesamt verzichtet die Stadt Eisenach mit dem Erlass dieser Gebühr auf 12.000 Euro.

Fast alle Branchen des öffentlichen Lebens seien inzwischen wieder geöffnet, nur traditionelle Volksfeste blieben weiterhin verboten. Wenn Geschäfte in Fußgängerzonen sich wieder füllen, wenn auf Grünmärkten gehandelt wird und Strände zum Flanieren einladen, dann müsse auch einer kleinen Stadt aus Schaugeschäften, aufgebaut unter freiem Himmel, ebenso eine Chance gegeben werden. "Wir fordern Gleichbehandlung", sagt Fritz Krebs. Für ihn ist unerklärlich, wie sich Menschen in einen engen Flieger nach Mallorca zwängen dürfen, sich aber nicht maximal zu zweit und mit schon im Autoscooter begründetem Abstand in eines seiner Fahrzeuge.

Mehr als 5000 Familienunternehmen in Existenznot

"Wenn unsere Kinder im Freibad gemeinsam im Planschbecken sitzen dürfen, muss es auch möglich sein, dass sie gemeinsam Karussell fahren können", erklärt auch Verbandspräsident Albert Ritter.

Ihre letzten Einnahmen hätten sie auf den Herbstkirmessen oder Weihnachtsmärkten 2019 erzielt, so die Schausteller. Nun seien mehr als 5000 Familienunternehmen massiv in ihrer Existenz bedroht.

Keine Kredite oder Almosen - sondern Arbeit

Zwei Autoscooter-Fahrzeuge hat Familie Krebs mit in die Bundeshauptstadt genommen. Bereits seit März und Beginn der Hygienevorschriften konnten die sich nicht mehr in Bewegung setzen. Hinzu kommen Plakate von ausgefallenen Festen. "Wir haben den Lockdown natürlich mitgemacht, haben volles Verständnis dafür. Jetzt fordern wir keine Kredite oder Almosen, sondern wieder arbeiten zu dürfen", sagt Krebs. Ein Herbstfest müsse doch auch mit Abstand und ohne Bierzelt in Erfurt möglich sein, sagt er. "Die Städte sind voll, man merkt doch, dass sich die Leute nach Unterhaltung und Zerstreuung sehnen."

Gespräche, auch zu kleinen Märkten, habe er inzwischen viele geführt mit Verantwortlichen in Stadt und Land. Alle hätten Unterstützung zugesagt, doch passiert sei nichts. Immer wieder seien die Schausteller vertröstet worden. "Das Oktoberfest in Erfurt war für uns bislang das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels. Mit der Verlängerung des bundesweiten Verbots für Großveranstaltungen ist auch das erloschen", sagt Krebs frustriert.

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