Erfurt. Jüdische Mädchen in der Ursulinenschule: Ein neues Buch beleuchtet ein bislang wenig bekanntes Kapitel der Erfurter Stadtgeschichte

„...Ich mochte besonders meine Kunstlehrerin und meine Mathematiklehrerin. Obwohl die meisten Mädchen katholisch waren, waren wir nicht die einzigen Nichtkatholiken, wodurch wir uns nicht ausgegrenzt fühlten.“ – So erinnerte sich Jahre später Hanna Herzberg an ihre Schulzeit an der Ursulinenschule 1935. Sie war eine von mehr als 20 jüdischen Mädchen, die bis zur Schließung der Mädchenschule 1938 dort lernten. Ungeachtet der stetigen Einmischungsversuche und Bespitzelungen durch die NS-Machthaber boten die Ordensschwestern des Ursulinenklosters ihnen einen geschützten Raum.

Eine Insel der Menschlichkeit. Und ein bislang wenig bekanntes Kapitel der Stadtgeschichten das nun in einem Buch näher ausgeleuchtet wird.

Zu verdanken ist es der Historikerin und Bistumsarchivarin Andrea Wittkampf. Sie stieß bei der Durchsicht der Meldekarten der einstigen Zöglinge auf zwei Karten mit dem Vermerk „nach Holland gezogen“. Das weckte ihr Interesse. „Natürlich kam mir sofort Anne Frank in den Sinn“, erinnert sie sich und begann sich tiefer in die Dokumente einzuarbeiten. Dass in der Klosterschule auch jüdische Mädchen lernten, war zwar bekannt, nicht dass es so viele waren. Den Behörden war die Schule ein Dorn im Auge, hinter den Klostermauern waren die Schülerinnen der NS-Ideologie entzogen, erzählt Schwester Chlothilde Müller vom Ursulinenkloster. Schritt für Schritt musste der Lehrbetrieb eingeschränkt werden, bis Ostern 1938 die Schule geschlossen wurde.

Erinnerungen aus dem Englischen übersetzt

Nur eine der einstigen jüdischen Schülerinnen kehrte nach dem Krieg nach Erfurt zurück. Vier Mädchen wurden im Holocaust ermordet. Die anderen konnten sich ins Exil retten.

Hanna Herzberg fand mit ihrer Familie zunächst Sicherheit in Amsterdam. Im jüdischen Gymnasium, das sie dort besuchte, lernte auch die drei Jahre jüngere Anne Frank. Gut möglich, so Historikerin Wittkampf, dass sich die Mädchen kannten.

Aus dem Exil wurde die Familie von den Nazis verschleppt. Den Vater ermordeten sie in Auschwitz. Hanna, ihre Schwester Eva und ihre Mutter mussten Zwangsarbeit leisten, im April wurden sie in das KZ Mauthausen deportiert, wo sie im Mai von amerikanischen Soldaten befreit wurden. Nach den Wirren der ersten Friedenszeit zogen die Frauen in die USA.

Jahrzehnte später schrieb Hannah Herzberg ihre Erinnerungen daran, und an die Erfurter Schulzeit auf. Verwandte hatten das Manuskript vor einigen Jahren während eines Besuchs der Stadt übergeben. Eine wertvolle Zeitzeugen-Erinnerung, die Andrea Wittkampf für ihr Buch aus dem Englischen übersetzte.

Das, so der Wunsch des Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Reinhard Schramm, nun möglichst viele Erfurter Schüler lesen. Denn es ist, wie er sagt, ein Zeugnis dafür, „was in ihrer Stadt möglich war und wahrscheinlich wieder möglich wäre, wenn wir blinden Nationalismus nicht Mitmenschlichkeit entgegen setzen“.