Erfurt. Zum Wahlkampfauftakt demonstriert die CDU-Stadtratskandidatin Kristina Vogel, mit welchen Problemen Rollstuhlfahrer in der Landeshauptstadt zu kämpfen haben.

Für Rollstuhlfahrer führt der Weg von Vieselbach nach Erfurt mit der Bahn über Weimar. Der Bahnsteig 1, auf dem die Züge nach Erfurt abfahren, ist für sie nicht erreichbar. 26 Stufen führen in den Tunnel hinab und bei Bahnsteig 3, der an der Straße liegt, führen weitere Stufen wieder hinauf.

Am Freitag sitzt Kristina Vogel in ihrem Rollstuhl auf Bahnsteig 3. Sie ist mit einem Sonderzug der Erfurter Bahn gekommen und über eine Faltrampe auf den Bahnsteig gerollt. Dort spricht sie mit einer Mutter, die sich mit einem Kinderwagen zum Bahnsteig hoch geschleppt hat, und albert mit dem Mädchen im Kinderwagen herum.

Vom Vieselbacher Bürgermeister Bernd Mey hört Vogel, dass beim Umbau des Bahnhofs zu einem Bahnhalt vor knapp 20 Jahren zwar eine Fahrstuhlvorbereitung bedacht wurde. Bislang stiegen nach Ansicht der Bahn aber nicht genug Fahrgäste am Tag zu, um den Fahrstuhl auch einzubauen.

Während Vogel draußen mit den Leuten plaudert, ruft der Lokführer Torsten Gröschner im Triebwagen die Leitstelle an, um noch einmal nachzufragen. Es ist so, wie er vermutet hat: Zwischen Hopfgarten und Vieselbach gibt es keine Weiche.

Einen Tag vorher muss die Fahrt angemeldet werden

Wollen Rollstuhlfahrer an Bord, können die Züge deshalb nicht auf Anmeldung die barrierefreien Bahnsteige anfahren, wie das an anderen Bahnhöfen möglich ist. Die Hotline schlägt den Rolli-Fahrern individuelle Lösungen vor. In den meisten Fällen läuft es in Vieselbach darauf hinaus, dass sie nach Weimar fahren und dort in einen Zug nach Erfurt umsteigen.

Es sind Situationen wie diese, die Kristina Vogel bei ihrem Wahlkampfauftakt demonstrieren will. Seit einem Trainingsunfall sitzt die Bahnrad-Königin im Rollstuhl. Beim Pendeln zwischen Erfurt und der Reha im Land Brandenburg nutzt sie oft die Bahn. „Aber das erfordert sehr viel Planung“, erzählt sie.

Zugbegleiter Christian Grosch hat in Vieselbach für Kristina Vogel die Faltrampe ausgelegt.
Zugbegleiter Christian Grosch hat in Vieselbach für Kristina Vogel die Faltrampe ausgelegt. © zgt

Mindestens einen Tag vorher muss sie ihre Fahrt anmelden. „Es gibt begrenzte Plätze, und ich kann nicht einfach mal eine Stunde früher oder später fahren – die Spontaneität fehlt“, erzählt sie. Ist die Umsteigezeit in Berlin kürzer als 15 Minuten, verweist sie die Hotline gleich auf den nächsten Anschlusszug.

An diesem Freitag hat sie solche Probleme nicht. Der Gründer und Chef des Erfurter Güterzugunternehmens Raildox, Frank Rudolf, hat den Triebwagen der Erfurter Bahn extra für den Termin gebucht. Auf Wahlplakaten ist er gemeinsam mit der Olympiasiegerin zu sehen.

Es ist ein CDU-Zug. Außer Frank Rudolf stehen noch Spitzenkandidat Michael Panse, Verkehrsexperte Jörg Kallenbach und die Europawahl-Kandidatin Marion Walsmann bereit, bei Bedarf jederzeit den Rollstuhl zu schieben. Michael Panse denkt bereits an das Rathaus. Von der Beliebtheit der Olympiasiegerin erhofft sich die CDU einen deutlichen Stimmenzuwachs bei der Stadtratswahl. Aber der Sitzungssaal ist nicht barrierefrei.

Um überhaupt in die zweite Etage zu kommen, muss ein Rollstuhlfahrer an der Pforte den Fahrstuhl am Nebeneingang anfordern. Auch zur Pforte führen Stufen. „Wir sehen das durchaus auch selbstkritisch“, meint Michael Panse. „Die Probleme stellt man erst fest, wenn man betroffen ist oder bewusst seinen Blick darauf lenkt.“

Sitzungssaal im Rathaus ist nicht barrierefrei

Den Blick der Erfurter CDU hat Kristina Vogel schon geschärft. „Barrierefreiheit ist die Freiheit in meinem Leben“, sagt sie, als der Zug wieder gen Erfurt rollt. „Was mir gut tut, tut auch den Menschen mit Rollator und mit Kinderwagen gut.“ Für diese Leute möchte sie sich einsetzen. „Es sind die Leute, die mit mir am Fahrstuhl stehen.“

Solche Leute hat sie auch am ersten Stopp in Bischleben getroffen. Am dortigen Bahnhof ist ebenfalls ein Gleis nicht barrierefrei. Lisbeth Eberhardt, die vor über 90 Jahren in Bischleben geboren ist, hat sich dennoch hochbemüht, um Kristina Vogel Hallo zu sagen.

Sie fahre Bahn, so lange sie die Stufen noch überwinden kann, meint die Dame. Manchmal hielten die Züge aber an einem Gleis jenseits des Tunnels, was erst kurz vor der Ankunft durchgesagt werde. „Wir älteren Leute und die Muttis mit Kinderwagen schaffen es dann einfach nicht“, erzählt Frau Eberhardt.

Kristina Vogel rollt zur Treppe. Sie schaut in den Schlund, in dem Stufen zum Tunnel führen. „Das ist einer der Bahnhöfe, an denen ich nicht weiterkomme“, sagt sie. „Der ganze Ort fällt bahnmäßig für mich aus.“ Später erzählt sie noch von unzureichenden Leitsystemen für Rollstuhlfahrer am Hauptbahnhof oder von zu flachen Bahnsteigen, so dass der Zugeinstieg trotz Rampe nicht ohne Hilfe zu bewerkstelligen ist. Die Erfurter Straßenbahnhaltestellen seien zwar barrierefrei. Aber am Anger sind die Steige zu kurz. Sie muss darauf achten, dass sie an der richtigen Stelle aussteigt – und muss einmal mehr die Fahrt genau planen.

Zurück am Hauptbahnhof, fährt Kristina Vogel die Blindenspur zwischen den Platanen am Busbahnhof ab, die von Fahrrädern halb zugeparkt ist. Dann nimmt sie Tempo auf und rollt zum Behindertenparkplatz, auf dem gerade ein Caddy steht.

Die drei jungen Frauen, die zum Caddy gehören, schauen irritiert, als Vogel sie auf den Missbrauch des Stellplatzes aufmerksam macht. Sie suchen erst nach Ausreden. Als das nichts nützt, fahren sie eilig davon.