Erfurt. Stadtschreiber Tom Schulz bereitet sich auf seinen Abschied aus Erfurt vor

Die Welt des Stadtschreibers ist klein, das Haus ist es und die Wohnung erst recht, die er bewohnt.

So klein ist meine Stadt, denkt er. Und hört von der Baustelle direkt vor dem Fenster die Elektrosäge aufheulen, ein Dach wird neu gedeckt. Schöner unsere Städte und Gemeinden, hieß es vor vierzig Jahren. Ganz sicher ist alles schöner geworden seitdem, selbst ein Plattenbau erstrahlt heute wie eine Gründer-zeit-Villa. Vom Zug aus sieht er das Meer der Plattenbauten und seufzt, alles ist schön.

Seit ein paar Tagen bereite ich mich auf die Rückreise vor, ich laufe beschwingt zum Bahnhof, ich muss den Weg auswendig kennen, wenn der Tag kommt. In zwölf Minuten kann ich es schaffen, sollte ich schlendern, sind es knapp über fünfzehn.

Meine Zeit vergeht, stelle ich ohne Bedauern fest. Zu meiner Abschiedslesung vor einer Woche kamen über dreißig Rentnerinnen und ein paar, die den Altersdurchschnitt ein wenig nach unten drückten. Reife und Gelassenheit; ein Mann spielte an einem nicht sonderlich gut gestimmten Klavier, es war schön.

Alles ist schön, wenn man wie ich am Tag eine Stunde meditiert, zu einer Zeit, wenn die Kreis- oder Steinsäge still ist. Alles ist schön, täglich gehe ich zum Bahnhof, übe meinen Ab-schied von der kleinen Stadt, dieser kleinen Welt. Manch ein Abschied ist gut, doch meistens ist es nicht leicht, meistens ist er tränenreich.

Auf meinem Weg zum Bahnhof gehe ich manchmal in eine Drogerie, hier findet man, was man zum Abschiednehmen braucht, zwischen Cremes, Schminke und Taschentüchern. Alles ist schön, sage ich mir auf dem Weg zum Bahnhof. Der Maler Jost Heyder hat mein Porträt gezeichnet, ich konnte mich gut wieder erkennen.

Ich stehe jetzt, besser gesagt, ich hänge an einer Wand im Haus Dacheröden; ich bleibe hier. Ich kann gar nicht fort, denn bisher habe ich nichts erreicht und erst recht nichts verändert. Es kann doch nicht so bleiben, wie es ist. Es muss doch etwas geschehen mit der kleinen wie großen Stadt, es fehlt doch an Hoffnung für viele. Die Thüringer Rentner sind die ärmsten in ganz Deutschland, habe ich gelesen. Wer gibt ihnen mehr Zuckerkuchen und frische Würste, wer teilt mit ihnen das mit Butter bestrichene Brot?

Ich kann nicht fort, ehe sich etwas ändert, sage ich mir. Ich muss bleiben und sei es, ich lande nach Jahren des Wahns auf dem Hauptfriedhof. Werde ich langsam verrückt in dieser kleinen Welt? Wird man mich zuletzt der Stadt verweisen, der ich etwas ändern wollte?

Die guten Sitten, Anstand und Verstand kehren gänzlich zurück, der Mensch wird ein Helfer. Ich kann jetzt gehen, ich weiß den Weg zum Bahnhof. Doch ich warte noch, und schaue dir, Leserin, in die Augen.