Erfurt. Versteckter Ranzen, kaputtes Handy, blaue Flecken – Mobbing zieht sich durch alle Schulen. Ausschussmitglied Stefan Schade kritisiert, dass Vorfälle nicht explizit erfasst werden.

Es gibt Themen, die viele betreffen – über die allerdings niemand gern spricht. In den Schulen gehört dazu das Suchtproblem von Jugendlichen, aber auch Mobbing. Klar ist, ein großer Teil der Schülerschaft kennt Mobbing, entweder aus eigenen Erfahrungen und Erzählungen – oder auch als Täter.

Statistisch erfasst werden Mobbingfälle allerdings nicht gesondert, zumindest nicht offiziell. Im staatlichen Schulamt verweist man auf die Liste der besonderen Vorkommnisse. „Dabei handelt es sich in der Regel nicht vordergründig um die Problematik Mobbing“, heißt es in einer Stellungnahme der Stadtverwaltung, die in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses Thema war.

„Das ist mehr als unbefriedigend“, sagt Ausschussmitglied Stefan Schade (Freie Wähler). Er hat sich des Themas Mobbing angenommen. Im Sommer hatte es eine Veranstaltung des Stadtjugendrings gegeben mit verschiedenen Trägern. Kommunalpolitiker konnten ein Thema wählen, er unterschrieb eine Patenschaftsurkunde und steht nun im Kontakt mit dem Awo-Jugendwerk. Die Patenschaft gilt für ein Jahr, doch für Stefan Schade wird danach nicht Schluss sein – das Thema ist zu komplex.

„Viele Eltern haben sich bereits an mich gewandt, erzählten mir Erlebnisse der Kinder. Es ist erschreckend. Hier muss dringend die Prävention verstärkt werden“, so der junge Politiker. Einige Projekte gab und gibt es an Schulen, insgesamt wurden 7400 Euro im vergangenen Schuljahr in Projekte investiert, im vorherigen Schuljahr waren es 3300 Euro. Vor allem an Regel- und Gemeinschaftsschulen fanden Projekte zu dem Thema statt. Zudem ist es auch „Auftrag der Schulsozialarbeiter, Mobbing entgegenzuwirken, zu erkennen und entsprechende Einzelfallhilfen oder soziale Gruppenarbeiten anzubieten“, heißt es in der Stellungnahme der Stadt.

Wo fängt Mobbing an? Stefan Schade hat beobachtet, dass dieser Begriff dehnbar ist. Dass Täter die Schwelle höher ansetzen, ihnen oft nicht bewusst ist, dass das, was sie da tun, bereits Mobbing ist. In einem Vortrag, den die Kreiselternvertretung vor zwei Jahren organisiert hatte, sagte damals die Medizinerin Anne-Bärbel Hintz, dass Opfer aus Mobbing-Situationen nie alleine herauskommen. Oft werde die Gewalt online und offline kombiniert, Ziel ist die soziale Ausgrenzung, das Verbreiten von Gerüchten, Bloßstellung.

„Viele Familien fühlen sich allein gelassen, bekommen nicht die erhoffte notwendige Unterstützung der Schule“, berichtet Stefan Schade aus seinen Erzählungen mit Betroffenen. „Der Klassenlehrer war stets überrascht, als er davon erfuhr.“

Die nächste Stufe sei der Vertrauenslehrer. „Wird von Beleidigungen, versteckten Ranzen, kaputten Handys oder gar blauen Flecken berichtet, werden alle panisch.“ Dann wird die Schulleitung eingebunden, es wird über Klassenwechsel in der selben Stufe oder in eine niedrigere Stufe nachgedacht oder gar über einen Schulwechsel. Sprich, das Opfer wird gezwungen zu handeln. „Es muss seinen Sozialraum verlassen. Eine neue Schule zu finden, ist schwer, selbst mit dem Brief der Schulleitung – in dem übrigens das Wort Mobbing gern vermieden wird“, berichtet Stefan Schade.

Er hat in seiner Anfrage auch nach Herabstufungen gefragt. Die Stadtverwaltung verneint dies, doch Berichte Betroffener offenbaren, dass oftmals in den Gesprächen eine Herabstufung empfohlen wurde. „Natürlich wurde der Schüler nicht dazu gezwungen, aber diese Möglichkeit wurde ihm als einzige Lösung angeboten.“

Verwaltung kennt Realität nicht

Im Jugendhilfeausschuss wies man seine Kritik an der Stellungnahme der Verwaltung zurück, vor allem mit der Begründung, die Verwaltung sei nicht zuständig. Für Stefan Schade unbegreiflich.

„Die Prävention beginnt schon beim Definieren von Mobbing. Da muss viel mehr an den Schulen geschehen. Warum setzt man sich nicht mit freien Trägern zusammen, konzipiert weitere Projekte“, schlägt er vor. „Die Antwort der Verwaltung zeigt doch, sie hat keine Ahnung, was bei dem Thema an den Schulen wirklich los ist.“

Die Kreiselternvertretung hat Mobbing längst auf ihre Agenda gesetzt, mehrere Veranstaltungen mit Experten fanden bereits statt. „Wir werden regelmäßig von Eltern angesprochen, deren Kinder Opfer von Mobbing geworden sind“, berichtet Kreiselternsprecher Armin Däuwel. Auch er war am Donnerstag in der Ausschusssitzung. Dass dem Thema Mobbing noch mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, steht auch für ihn fest. Er und Stefan Schade möchten in den kommenden Monaten kooperieren, eventuell ein gemeinsames Projekt durchführen. „Es ist wichtig, dass Hilfe angeboten wird. Den Opfern, aber auch denjenigen, die mobben, denn sie haben offensichtlich auch irgendein Problem.“