Gotha. Ein Gespräch mit Martin Steinbrück (FDP) über seine Heimatstadt Gotha, polytechnischen Unterricht und das Ende der Straßenausbaubeiträge in Thüringen.

In einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Kinder- und Jugendforum Gotha befragt unsere Zeitung die Direktkandidaten im Wahlkreis 15 zur Landtagswahl. Martin Steinbrück aus Gotha (Jahrgang 1948) tritt für die FDP an. Der Diplomverwaltungswirt ist in der dritten Legislatur Stimme der Liberalen im Stadtrat Gotha.

Herr Steinbrück, der Lehrermangel ist an vielen Schulen Thüringens spürbar. Häufig fällt für ganze Klassenstufen mitunter Unterricht aus, so in Geografie. Wie wollen Sie dem entgegenwirken? Die bisher geschaffenen Stellen scheinen ja das Problem nicht zu lösen.

Es fehlen Lehrer und Erzieher. Das müssen wir abändern, mehr Stellen schaffen und besetzen. Ohne Lehrer gibt es keinen Unterricht, lässt sich keine Elite heranbilden. Die Heranwachsenden sind die Handwerker, Ärzte, Ingenieure und Architekten von morgen. Bildung ist das A und O.

Könnten Quereinsteiger helfen, den Lehrermangel zu beheben?

Deren Einsatz in Schulen halte ich für keine schlechte Idee. Sie müssten vorher nur richtig durchgecheckt werden, ob sie auch in der Lage sind, Heranwachsende zu unterrichten.

Thüringen steht hinsichtlich Digitalisierung in Schulen nicht gerade in der ersten Reihe. Welche Idee haben Sie, um die Digitalisierung auf die Höhe der Zeit zu bringen?

Da muss viel Geld investiert werden, um das weiter zu entwickeln und auszubauen. Ohne Digitalisierung läuft es in der Zukunft nicht mehr. Es muss Geld investiert werden, um die Kinder darauf vorzubereiten.

Wo sehen Sie Potenzial, die Lehrer auf dieser Strecke weiterzuentwickeln?

Sie müssten auf diesem Gebiet ständig qualifiziert werden, damit sie den Kindern das Neueste vermitteln können. Sonst funktioniert das nicht.

Warum gibt es in Thüringen ein Azubi-, aber noch kein Schülerticket?

Ich würde mich als Landtagsabgeordneter dafür einsetzen, dass es eingeführt wird, dass es alle nutzen können, Azubis wie Schüler.

Wie sehen Sie den finanziellen Mehraufwand, der sich damit verbindet?

Beim Geld fängt es an und hört es auf. Die erforderlichen Finanzen würde ich bei anderen Fonds abzwacken. Einen konkreten Bereich möchte ich jetzt nicht benennen. Ich erachte das Schülerticket als ganz wichtig. Als ich gelernt habe, bin ich mit dem Fahrrad von Uelleben nach Gotha gefahren, um mit dem Zug nach Erfurt zu kommen. Das war umständlich und musste bezahlt werden.

Sie haben das Radfahren angesprochen. Als Radfahrer leben auch Schüler oft sehr gefährlich. Wann wird es mehr Radwege geben? Wie sehen Sie die Funktion von Radwegen gerade in Städten?

Ich finde Radwege gut. Es muss aber auch der Platz vorhanden sein, um sie zu schaffen. In Gotha ist das der Knackpunkt. Innenstädte mit engen Gassen und schmalen Straßen bieten dafür oft schlechte Voraussetzungen. Der Bau von Radwegen muss ordentlich geplant und im Bauausschuss durchgesprochen werden. Auch mehr Gelder müssen dafür zur Verfügung stehen, damit die Kinder sicher zur Schule kommen.

Wie kann der Freistaat Thüringen Einfluss nehmen, dass weniger junge Leute für Ausbildung und Studium abwandern oder wieder zurückkommen?

Vertreter von Handwerkskammern und der IHK sollten verstärkt in die Schulen gehen. Das Arbeitsamt müsste zielgerichtet Angebote für Lehrstellen unterbreiten und Betriebsbesichtigungen organisieren. Ich bin dafür, dass junge Leute wieder mehr Handwerksberufe erlernen, denn diese Fachkräfte werden auch in der Zukunft benötigt. Es können nicht alle studieren. Wir brauchen nicht nur Akademiker. Für ganz wichtig halte ich den polytechnischen Unterricht. Er sollte wie das Werken in den Schulen wieder eingeführt werden, ähnlich wie zu DDR-Zeiten, damit die jungen Leute wieder einen Nagel in die Wand schlagen können und Abläufe in der Produktion kennenlernen.

Fachkräfte aus dem Ausland sollen die Lücken füllen. Was halten Sie davon?

Ob das immer so aufgeht, bezweifle ich. Sie benötigen einen adäquaten Schulabschluss, um hier in der Ausbildung einsteigen zu können.

Sehen Sie Werbung als einzige Möglichkeit oder sind Studium und Ausbildung hier nicht attraktiv genug, dass junge Leute in Thüringen bleiben?

Die Ausbildung in unserer Region halte ich für attraktiv. Sicherlich lässt sie sich noch weiter ausbauen. Die Abwanderung könnte sich umkehren, wenn den jungen Leuten hier ordentliche Arbeitsstellen, gute Entlohnung, Wohnungen und ein attraktives kulturelles Umfeld geboten werden, dann kommen junge Menschen auch zurück.

Wie steht es Ihrer Meinung nach um kulturelle Angebote in Thüringen?

Wenn ich von Gotha ausgehe, bietet die Stadt viel Kultur. Ich schließe mich Gothas Oberbürgermeister Kreuch an, der immer wieder sagt: Gotha ist die schönste Stadt in Thüringen.

Wie kinderfreundlich ist der Tourismus in Thüringen?

Dazu kann ich wenig sagen, weil ich mich damit noch nicht eingehend genug beschäftigt habe. Der Tourismus selbst liegt mir am Herzen. Er ist eine ganz wichtige Sache. Auf dessen Entwicklung würde ich als Landtagsabgeordneter einen Schwerpunkt legen.

Warum wurde die Förderung von Klassenfahrten reduziert?

Das ist bestimmt eine Frage des Geldes. Das muss geändert werden. Klassenfahrten sind wichtig. Die Kinder sammeln neue Eindrücke und Erfahrungen. Fahrten etwa ins Planetarium nach Jena oder in den Leipziger Zoo sind eine tolle Sache. In Jugendherbergen lernen sich die Kinder in einem anderen Umfeld besser kennen. Das schweißt sie zusammen.

Junge Menschen sind selten wie im Jugendforum Gotha organisiert. Was tun Sie, damit mehr Jugendliche Teil des demokratischen Prozesses werden?

Ich spreche viele Jugendliche in der Stadt an, beziehe sie in Gespräche ein, etwa in Vereinen. Ich rufe sie zum Mitmachen auf. Ohne das geht es nicht. Ich appelliere an die jungen Leute: Ihr dürft Euch nicht die Augen zuhalten, sondern müsst in das politische Geschehen reinsehen und mitgestalten!

Was würden Sie auf politischer Ebene dafür tun?

Ich würde die Jugend mit einbeziehen, so wie wir das in der Vergangenheit auch schon praktiziert haben. Der Knackpunkt ist, dass zu wenige sich in Schulen oder bei der Feuerwehr einbringen. Das müsste stärker gefördert werden. Letztlich ist es auch eine Frage des Geldes.

Sehen Sie die direkte Integration von Kindern und Jugendlichen in politische Gremien wie Stadtrat, Kreis- oder Landtag als eine Möglichkeit an?

Ja, das Jugendforum ist ein gutes Beispiel dafür. Die Jusos machen es vor. Der Jugend sollte Vertrauen geschenkt, ihr sollten Aufgaben übertragen werden.

Wenn Sie gewählt werden, was möchten Sie im neuen Landtag für junge Menschen erreichen?

Viel. Die Jugend kann überall einbezogen werden. Denkbar wäre das ähnlich wie beim Jugendparlament Gotha, das jedes Jahr dem Stadtrat von seiner Arbeit berichtet.

Die rot-rot-grüne Landesregierung hat die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge beschlossen. Was halten Sie als Vertreter des Verbandes „Haus und Grund“ davon?

Ich finde das ganz toll. Das sorgt bei den Bürgern für Entlastung. Diese Abgabe hat besonders den älteren Mitbürgern mit Einfamilienhäusern und einer niedrigen Rente sehr wehgetan. Wir von Haus und Grund haben gemeinsam mit der Bürgerinitiative und dem Sprecherrat seit 20 Jahren für die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge gekämpft.

Wie sehr wird die Entlastung des Bürgers den Landeshaushalt belasten?

Wenn es beschlossene Sache ist, muss das Geld auch dafür vorhanden sein. Es gehen ja auch andere Dinge, warum soll das hier nicht funktionieren.

Wo müsste der Hebel angesetzt werden, damit sich Thüringen als modernes Land im 21. Jahrhundert behauptet?

Wenn ich von der Entwicklung meiner Heimatstadt Gotha ausgehe, dann hat sich schon viel getan, vor allem im Ausbau der Infrastruktur, von Kanal- und Abwassernetzen sowie der Straßen. Das muss in anderen Städten und Dörfern fortgesetzt werden. Als ganz wichtig sehe ich den Breitbandausbau an.

Welche Chancen räumen Sie Ihrer Partei ein, dass Sie diesmal die Fünf-Prozent-Hürde überspringt? Was sagen Sie den Bürgern, warum Sie die Liberalen wählen sollten?

Wir haben schon viel bewegt, wenn ich von meinem Verband Haus und Grund ausgehe. Aber das ist insgesamt nicht so einfach. Wir stehen vor einer schwierigen Situation, wenn ich die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sehe. Wir sind die Vertretung des Mittelstandes. Aber das begreifen in Mitteldeutschland noch zu wenige.

Ein Problem vieler Parteien ist, dass sie die Jugend wenig ansprechen. Was kann die FDP tun, um mehr Jugendliche zu erreichen?

Es gibt viele Ideen. Doch wenn es an die Umsetzung geht, gibt es Probleme. Wir haben die Jungen Liberalen. Wie stark Sie öffentlich auftreten und in der Wahrnehmung sind, hängt von Einzelnen ab. Die ständig dabei bleiben, das sind wenige.

Was wäre nötig, um den Nahverkehr klima- und bürgerfreundlich zu gestalten, um auch die ländliche Region stärker an den öffentlichen Verkehr anzubinden?

Es sollten vermehrt Shuttlebusse in die Dörfer fahren. Der Ausbau des Shuttlebus-Verkehrs wäre zwar mit mehr Aufwand und Kosten verbunden, aber das Gute wäre, es würden viel mehr Leute ihr Auto dann stehen lassen. Die Bevölkerung in den Dörfern und den Ortsteilen käme schneller in die Stadt und nach Hause. Was jetzt nicht der Fall ist, wenn alle paar Stunden nur ein Bus fährt.

Wer soll das bezahlen?

Hier ist die öffentliche Hand gefragt. Dafür zahlen wir ja auch Steuern.

Interviews mit Felix Kalbe (Grüne), Matthias Hey (SPD), Bernd Fundheller (Linke), Marion Rosin (CDU) und Stephan Steinbrück (AfD) gibt es unter www.thueringer-allgemeine.de/wahl .