Gotha. Die Stadtschreiberin Birgit Ebbert entdeckt ihr Wohnumfeld.

Wie im wahren Leben habe ich auch bei meinem Einzug in Gotha als erstes die Nachbarn unter die Lupe genommen. Das Haus am Brühl, in dem ich wohne, hält da ja so einige Überraschungen bereit. Schon als ich zum ersten Mal vor dem Eingangstor stand, habe ich mich gefragt: Ist das hier ein Museum? Das Plakat an der Tür zum „Grumbach-Panorama“ mit bilderbuchartigen Illustrationen lässt das durchaus vermuten. In der Eingangshalle befinden sich riesige Bilder, es kam mir vor, als tauchte ich in ein Märchen ein. Nun weiß ich, dass die Geschichte von einem Märchen weit entfernt ist und für manchen Gothaer als Keimzelle der Unabhängigkeit gilt.

Der Verdacht, ich wohnte in einem verkappten Märchenschloss, erhärtete sich zunächst jedoch, als ich auf dem Weg zu meiner Wohnung einen großen, grünen Froschkönig erblickte. Tatsächlich! Er sitzt da wirklich, mit einem braunvioletten Umhang, vielleicht weil es ihm in dem altehrwürdigen Gemäuer zu kalt ist. Ganz bestimmt! Auf dem Flur des Stadtmarketings sitzt er!

Inzwischen sitzt ein kleiner Bruder von ihm bei mir im Sessel und ich weiß, dass es sich dabei um eine Leitfigur des Stadtmarketings handelt. Das Stadtmarketing beziehungsweise die „KulTourStadt Gotha GmbH“, wie es korrekt heißt, hat die Räume in der ersten Etage des ehemaligen Hospitals, zu dem mein Teilzeitzuhause gehört.

Doch das ist nur der vordere Teil des Maria-Magdalena-Hospitals, dessen Ursprünge bis ins 13. Jahrhundert reichen. Wenn man die Tür mit den Fensterbildern von Wilhelm von Grumbach, Herzog Johann Friedrich II. und Kurfürst Christian Brück öffnet, gelangt man in einen Innenhof.

Hier treffen sich in der Woche morgens Frauen zum Sporteln oder Nähen, zum Quatschen oder Singen. In meinen ersten Tagen wunderte ich mich eines Morgens über den Chorgesang, der durch mein Fenster drang. Ich konnte aber nichts sehen und vermutete, dass der Wind ihn aus einem Nebengebäude herüberwehte. Und dann saß ich eines Mittwochs draußen und bekam mit, wie eine Frau nach der anderen eintrudelte und eine unscheinbare Tür aufgeschlossen wurde.

Doch, die Tür ist unscheinbar, ich habe dahinter einen Lagerraum oder eine Scheune vermutet. Stattdessen befindet sich hinter der Tür eine alte Kirche, schon in die Jahre gekommen, und die Orgel funktioniert nicht mehr, aber von einer besonderen Ausstrahlung. Hier üben die Sängerinnen einmal in der Woche, und bei schönem Wetter lassen sie die Tür auf, und ich kann bei musikalischer Begleitung schreiben.

Die kleine Kirche wird allerdings nur einmal in der Woche geöffnet, im Gegensatz zum Frauenzentrum, das ebenfalls im Maria-Magdalena-Hospital seinen Sitz hat. Die beiden ehrenamtlich tätigen Frauen, die das managen, sind an vier Tagen in der Woche da, sie koordinieren Termine, initiieren Veranstaltungen und sind Ansprechpartnerinnen bei allen Fragen, die die Frauen mitbringen.

Über und neben ihnen sind noch der Weiße Ring und das Haus der Genealogie in dem Gebäude angesiedelt. Die habe ich bisher nicht angetroffen, aber ich wohne ja ein paar Monate hier, da werde ich schon herausfinden, was es mit der Arbeitsgemeinschaft für Genealogie auf sich hat.

Zur Person

Jährlich wählt eine Jury aus Bewerbungen eine Autorin oder einen Autoren als Gothaer Stadtschreiber aus.

In diesem Jahr ist es Birgit Ebbert aus Hagen in Westfalen.

Von Juni bis November lebt sie in der Stadtschreiberwohnung und arbeitet in Gotha.