Gotha. Birgit Ebbert interessiert, welche Geschichten sich hinter den Namen auf Grabsteinen verbergen

Wenn ich in fremde Städte komme, führt mich mein Weg oft auf den Friedhof. Da war es klar, dass ich auch dem Hauptfriedhof in Gotha einen Besuch abstatten würde.

Ich mochte Friedhofbesuche schon als Kind. Wenn wir das Grab der Großeltern besuchten, interessierte mich besonders die Geschichte des Bruders meines Vaters, der ebenfalls im Grab der Großeltern lag. Stehe ich heute vor fremden Gräbern, führen mich Namen, Daten, Inschriften oder Grabsteingestaltung entweder zur Erinnerung meiner Toten oder ins Reich der Fantasie. Am liebsten würde ich zu jedem Namen herausfinden, wer der Mensch war, wovon er geträumt hat und wie sein Leben abgelaufen ist. Deshalb ist das Grab, das ich auf dem Gothaer Hauptfriedhof am interessantesten finde, das von Klaus Törpe, dem jungen Gothaer Radrennfahrer, der 1950 bei einem Rennen tödlich verunglückte.

Nie zuvor habe ich einen Grabstein gesehen, auf dem die Lebensgeschichte des Verstorbenen kurz zusammengefasst ist, gewünscht habe ich mir das oft, auch auf dem Hauptfriedhof, beim Anblick des Grabdenkmals der Schwestern von Nordheim aus dem Jahr 1911 zum Beispiel. Wer denkt denn, dass eine Liebestragödie hinter den beiden lebensgroßen Bronzefiguren steckt.

Aber nicht nur die Menschen, die auf dem Hauptfriedhof ihre letzte Ruhestätte fanden, haben ihre Geschichten, auch manche Denkmäler. Das Monument für die „Helden des antifaschistischen Widerstandes“, war ursprünglich nicht für diesen Friedhof konzipiert worden, sondern stand von 1967 bis 2011 im Rosengarten zwischen Schloss Friedenstein und dem Herzoglichen Museum. Da das Denkmal nun frei steht, entfaltet es eine ungeheure Kraft und Mahnung wie auch die Kriegsgräber, die wir uns heute viel öfter ansehen sollten, um uns zu erinnern, wie gut es uns geht und welches Leid die Kriege im letzten Jahrhundert gebracht haben.

Davon könnte der Hauptfriedhof viel erzählen. Selbst er hat sich entwickelt, er wurde in drei Bauabschnitten 1878, 1908 und 1920 angelegt und in der Anlage finden sich neben den nach der Inbetriebnahme entstandenen Gräbern auch letzte Ruhestätten von Persönlichkeiten, die zuvor auf den alten Friedhöfen begraben waren.

1878 wurde auch das Krematorium in Betrieb genommen. Als hier am 10. Dezember 1878 die erste Einäscherung eines Menschen stattfand, war das ein historisches Ereignis. Gotha wurde mit seinem Krematorium zu einem Vorreiter in Europa, der Ruf reichte soweit, dass Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner testamentarisch verfügte, dass sie in Gotha eingeäschert werden sollte. Bis heute wird ihre Urne hier aufbewahrt, zentral im Kolumbarium aus dem Jahr 1892.

Als ich diese Urne sah, nachdem ich vorher an den Kriegsgräbern vorbeigegangen war, dachte ich mir, dass alle Menschen viel öfter auf Friedhöfe gehen sollten, um zu spüren, was Kriege mit sich bringen und Frieden bedeutet.