Heringen. Ein Zeitzeuge blickt in die Vergangenheit des ehemaligen Möbelwerks in Heringen. Der Abriss durch neuen Eigentümer schreitet voran.

Blitze zucken von oben herab. Darunter die stilisierte Darstellung eines Elektrizitätswerkes. Imposanter ist jedoch das tatsächliche Gebäude, an dem diese über dem Eingang prangt, zusammen mit dem Schriftzug „Erbaut im Jahre 1907“. Heringer Geschichte, die seit Jahren ungenutzt verfällt.

Ortsprägender Speicher soll erhalten bleiben

Seit November vergangenen Jahres knabbern hier Abrissbagger die Gebäude auf dem Gelände hinter den zwei Einkaufsmärkten an der Straße der Einheit immer kleiner. Ende Januar dieses Jahres kam ein Teil der Gebäude samt Freiflächen bei einer Zwangsvollstreckung am Nordhäuser Amtsgericht unter den Hammer.

Liebevolle Details an der Außenfassade des einstigen Elektrizitätswerkes fallen dem Betrachter sofort ins Auge.
Liebevolle Details an der Außenfassade des einstigen Elektrizitätswerkes fallen dem Betrachter sofort ins Auge. © Marco Kneise

„Dabei sei positiv zu erwähnen, dass der neue Besitzer für das Areal im Mindestmaß seiner Verkehrssicherungspflicht erst einmal nachgekommen ist, ganz im Gegensatz zum Vorbesitzer“, weiß Heringens Bürgermeister Maik Schröter (CDU), der erfahren hat, dass hier eine punktuelle Nutzung für die Unterbringung von Technik oder ähnlichem vorgesehen ist.

Zudem habe der neue Eigentümer großes Interesse, den Speicher, der direkt an der Straße der Einheit steht und ortsprägend ist, erhalten zu wollen. Ein zweiter Versteigerungstermin für weitere Gebäude mit Freiflächen ist für Juni angesetzt.

Weltweit bekannte Zuckerrübenzucht

Einer, der sich noch gut an die vergangenen Zeiten des Geländes erinnern kann, ist Aulebens Gästeführer Eckhard Haupt. Von 1979 bis 1991 ging er hier ein und aus, da er im Möbelwerk beschäftigt war. Haupt erinnert sich noch genau, dass das Gelände der Familie Schreiber gehörte, die mit ihren Zuckerrübenzüchtungen weltbekannt war und Anfang des 20. Jahrhunderts eine Zuckerübensamenzucht- und Versandstation betrieb.

Den Schornstein sieht man bereits bei der Anfahrt auf die Stadt.
Den Schornstein sieht man bereits bei der Anfahrt auf die Stadt. © Marco Kneise

„Wissenschaftler aus dem Ausland weilten zu Erfahrungsaustauschen auf den Schreiberschen Gütern und Versuchsfeldern in Heringen und Sundhausen“, heißt es in den Recherchen von Rainer Hellberg, die in den Harz-Forschungen zur Industriegeschichte im Südharz veröffentlicht wurden.

„Es gab eine Zichorienfabrik. 1930 wurde hier eine Molkerei errichtet, fünf Jahre später eine Kornflockenfabrik sowie eine Kartoffelbrennerei“, erzählt Haupt und erinnert sich, wie er viele Jahre später als Kind Äpfel sammelte und sie dort in eine Mosterei brachte.

Viele Erinnerungen werden dem Erdboden gleich gemacht

Außerdem weiß er von einem Tag, der ihm besonders in Erinnerung blieb. „Es war der 26. Oktober 1964, als es am Morgen ein Feuer im Großspeicher der Bäuerlichen Handelsgesellschaft gab. Das hat man bis rüber zur Schule gesehen, wo wir alle am Fenster schauten.“

Neun Feuerwehren mit über 100 Floriansjüngern rangen damals über mehrere Stunden mit dem Feuer, das im 50 Meter langen und 20 Meter hohen Speicher mit seinen vier Etagen loderte. In ihm lagerten Rübensamen im Wert von 3 Millionen Mark. Der Schaden soll bei 4,5 Millionen Mark gelegen haben, hieß es in der Tageszeitung Das Volk am darauffolgenden Tag in einer Meldung.

Es ist ein Ort, der in Haupt viele Erinnerungen weckt, der nun aber langsam dem Erdboden gleich gemacht wird. Doch wehmütig ist er nicht. Der Schritt sei der richtige, da man hier bereits nach der Wende eine Chance verpasst habe. Schade sei es nur um die Architektur einiger Gebäude, „da man selbst bei einem Gebäude wie einem Elektrizitätswerk damals mehr Herzblut reinsteckte als heute“, findet Haupt.