Peter Cott wundert sich über den fehlenden Weitblick in Politik und bei der Bahn.

„Die Zeit stuckverzierter Wartesäle ist vorbei, dafür zählen Sicherheit, Sauberkeit und ein Optimum an Service für eine hohe Mobilität.“ Jedem, dem nur ein wenig das Herz für unsere Umwelt und die Region schlägt, muss sich bei diesem Satz der Magen umdrehen. Er stammt von Jörg Bönisch, einem Sprecher der Deutschen Bahn für Mitteldeutschland und ist Beleg für fehlenden Weitblick sowie die verzerrte Wahrnehmung im Staatskonzern: Denn an Sicherheit und Sauberkeit denkt wohl niemand zuerst, wartet er spätabends am Bahnhof in Wolkramshausen auf seinen Zug und bringt dann noch den Mut auf, einen Blick in den ehemaligen Wartesaal zu werfen. Hier bröckelt der Putz wie luftiger Blätterteig von den Wänden. Im niedergerieselten Staub und zwischen Müll hat sich jemand nur mit Schlafsack ein spärliches Nachtlager geschaffen! Um diesen traurigen Anblick zu haben, müssen Sie nicht einmal durch die zerschlagenen Fenster schauen – die Türen sind allesamt aufgebrochen.

Dass die Lust auf eine Zugfahrt so steigt, darf man bezweifeln. Denn auch wenn das Gelände der Bahn nicht mehr gehört – ein Reisender wird solche Zustände zwangsweise mit dem Unternehmen in Verbindung bringen, das nur wenige Meter weiter seine Gleise liegen hat.

Und es ist nicht der einzige Bahnhof, der kein gutes Bild abgibt im Südharz: Erst neulich mussten sich Leser an unsere Zeitung wenden, weil sie am Nordhäuser Bahnhof kaum noch über das Unkraut in ihren Zug kamen. Seit Monaten beschäftigt den Stadtrat zudem die fehlende Toilette im Gebäude eines Konzerns, der mit einem „Optimum an Service“ glänzen will.

Allerorts fordern Politiker eine Mobilitätswende. Landrat Matthias Jendricke (SPD) etwa will den Verkehr aus Bussen sowie von Fahrrädern und E-Scootern an Knotenpunkten wie Wolkramshausen, Bleicherode oder Niedersachswerfen bündeln und in den Öffentlichen Nahverkehr nach Nordhausen setzen. Mit einem Unternehmen, das den Verfall von ortsbildprägenden Gebäuden so billigend in Kauf nimmt, hat er einen schwierigen Partner. Offensichtlich glaubt man bei der Bahn selbst nicht mehr an Zeiten steigender Bedeutung und wachsender Fahrgastzahlen, die richtige Bahnhöfe wieder nötig machen. Aber auch die Politik verschenkt Potenzial auf Schienen: Wie sonst ist es zu erklären, dass man den Ausspruch „Der Verkehr muss auf die Schiene“ gebetsmühlenartig predigt, ein – noch immer verwaistes – Industriegebiet aber auf besten Ackerboden setzt? Derweil vergammeln große Teile des alten Güterbahnhofs, der schon manchen TA-Leser an Zustände nach dem Weltkrieg erinnert hat. Wäre das Areal nicht eher zu entwickeln gewesen und ist es nicht bereits ans Schienennetz angebunden?