Peter Cott über die Lehren einer zerstörten Stadt, die ihr Antlitz verändert.

Ein Kleinod der Fachwerk-Architektur muss sie einst gewesen sein, vergleichbar nur mit pittoresken Innenstädten wie denen von Goslar und Hildesheim: Nordhausen, die Tausendjährige. Wo sich durch Handelseinflüsse nach Nordwesten mitteldeutsche Gebäudeformen mit niedersächsischer Bauweise verbanden. Wo wohlhabende Industrielle und Bürger den Stolz auf das Erreichte und ihre Heimatstadt im 19. Jahrhundert mit reich verzierten Jugendstilvillen ausdrückten. Das war einmal! All diese Pracht sollte am 3. und 4. April 1945 binnen weniger Stunden vergehen. Von 14.300 Wohnungen im Jahr vor dem Kriegsende liegen nach den britischen Bombenangriffen 6200 darnieder. Ich kenne die Stadt nicht in Asche. Doch mit den alten Bildern dieser wunderschönen Stadt im Kopf kommen mir aber auch beim Schreiben darüber fast die Tränen. Und so geht es sicher den meisten Nordhäusern, wenn sie an das denken, was war: An das Riesenhaus am Lutherplatz oder an die Nikolaikirche, von denen nur noch Asche im Wind und alte Fotos übrig sind.

Was haben die Menschen damals angerichtet? Diese Frage drängt sich auf beim Gedanken an die Barbarei, die mit brennenden Häusern und Verschütteten in Luftschutzkellern einhergeht. Doch die Männer in den Kampflugzeugen waren keine Barbaren. Es waren zivilisierte Menschen. So wie wir heute. Doch die Deutungshoheit jener Jahre gehörte nicht denen mit kühlem Menschenverstand oder warmem Herzen. Sondern denen, die Hass schürten und sich selbst als bessere Menschen ansahen. Sicher hätte kein Engländer Nordhausen je angegriffen, hätte Deutschland nicht erst den Krieg in die Welt gebracht. Wer heute durch die Stadt läuft, für den darf es beim Blick auf die vielen Neubauten der Nachkriegsjahre daher nur eine Schlussfolgerung geben: Seid nicht vergesslich! Und begehrt auf gegen die, die wieder die Stimme gegen andere erheben und spalten wollen.

Das sind übrigens häufig dieselben lauter werdenden Stimmen, die allen anderen in der Politik Unfähig- und Untätigkeit vorwerfen. Die ein politisches Streben am Bürger vorbei und eine abgehängte Region herbeibeschwören, die es so nicht gibt. Auch hier sei ein kleiner Spaziergang angeraten: Denn nicht nur die Zerstörung von 1945 hat Nordhausens Struktur verändert, sondern auch der Bauboom der vergangenen Jahre. Alte Brachen verschwinden und machen Pflegeheimen sowie Wohnraum für Familien Platz. Ungenutzten Objekten rückt die Abrissbirne zu Leibe, um an ihrer Stelle Firmen zu vergrößern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wer das nicht sieht, ist blind. Der lässt sich manipulieren.

Wir bauen auf und reißen nieder – Wie sich Nordhausens Antlitz wandelt