Nordhausen. In der Kranichstraße machen Abend für Abend junge Leute Stress – zum Ärger nicht nur der Ladeninhaber. Gefordert wird nun nicht nur eine weitere Alkoholverbotszone.
Es dämmert, die Geschäfte an der Kranichstraße sind noch eine halbe Stunde offen. Für Lilly, Alia, Niklas und etwa ein Dutzend anderer junger Leute beginnt der Abend vor den Stufen vom Fotoladen Kötz: mit Bier und Mixgetränken, Musik aus der Bluetooth-Soundbox, einzelne haben eine Zigarette in der Hand, einer steht sichtlich unter Drogen.
„Seit knapp zwei Monaten geht das so, immer ab etwa halb 4 nachmittags bis 20, 21 Uhr“, erzählt Ladeninhaber Ronald Kötz. Er ist genervt: weil sich manche Leute in sein Geschäft „kaum noch hineintrauen“. Weil er zu oft schon die großen Blumenkübel an der Straße gespickt sah mit Schnapsflaschen, Kaugummis, Zigarettenkippen, Resten von Döner oder chinesischem Fastfood. Weil das Ordnungsamt sich viel seltener blicken lasse als zu jener Zeit, da in der Straße noch Parksünder abzustrafen waren. Weil die Polizei zwar komme, aber erst an den Jugendlichen vorbeifahre und so Zeit lasse, die Schnapsflaschen wegzupacken.
Manchmal sind 50 Leute anwesend
An diesem frühen Mittwochnachmittag fährt ein Wagen vom Ordnungsamt vorbei. Der Staat zeigt Präsenz. Leute auf dem Fußweg gegenüber schauen neugierig-distanziert rüber. Manchmal, erzählt Niklas (22), seien sie hier 50 Leute. Die Jüngsten seien 13, die meisten aber über 18. Er steuert die Marktpassage gegenüber an, Getränkenachschub holen.
Warum sie sich hier treffen? Zuhause wär’s langweilig, sagt einer. „Hier sind wir mitten in der Stadt, können schnell Essen und Trinken kaufen“, sagt Alia (19). Der Platz sei für alle gut zu erreichen. Im Sommer seien sie auch schon auf dem Petersberg gewesen, vor Jahren an der Bibliothek. Aber dort sei ja Alkohol verboten, wie auch in der Promenade und den Jugendclubs, weiß Lilly. Sie ist 15, trotzdem trinkt sie mit. Es gebe „alles von A bis Z“, Bier, Wodka… Lustig sei es zusammen.
Es fließt viel Alkohol, Abend für Abend
„Jugendliche chillen halt gern, die Älteren haben doch früher auch gefeiert“, meint sie und betont, dass andere nicht provoziert werden sollen. Auch werde niemand angepöbelt. Einer öffnet ein Bier, den Kronkorken lässt er durch die Luft fliegen. Zwei Meter weiter bleibt er auf dem Boden liegen. Dabei hat die Stadt vor ein paar Tagen genau hier eine großen Mülleimer aufgestellt.
Als Bürgermeisterin Alexandra Rieger (SPD) diese Woche davon im Stadtrat berichtet, hört man ihr die Ohnmacht an. Sie weiß: „Trotzdem kommt es zu Vermüllung.“ Manchmal sehe es aus „wie an einem Morgen nach Silvester“, ärgert sich Diana Nüßle vom Juweliergeschäft in der Kranichstraße. Sie ist das viele Schaufenster-Putzen leid, um die Spuren zu beseitigen. Auch sie will nicht akzeptieren, dass „20 bis 30 schwarz Gekleidete“ den Fußweg „belagern“, sich deshalb Kunden nicht trauen, den Weg zu nutzen. Die Zustände erinnern sie an „Vororte irgendwelcher Großstädte“.
Alternativen statt Mülleimern
„Statt noch einen Mülleimer aufzustellen, müssen zentrumsnah Alternativangebote geschaffen werden“, fordert Heiko Sänger vom Spirituosen- und Tabakwarengeschäft. Auch brauche es mehr Streetworker als nur einen in Nordhausen. Zwei halbe Stellen werden fürs Streetworking aktuell finanziert. Das Problem: Beide sind nicht mehr besetzt. Rieger zufolge gehe zumindest das Ordnungsamt „regelmäßig dort vorbei und weist die Jugendlichen darauf hin, dass sie sich woanders aufhalten sollen“.
Wo? Rieger setzt auf den noch unbefestigten Platz nahe der Blasiikirche gegenüber der Marktpassage. Eine Waldschänke für die Jugendlichen solle dort aufgebaut werden.
Ob sie sich auch dort treffen würden? Das wäre okay, meint einer der Gruppe vor „Foto Kötz“. Doch brauche es ein paar mehr Waldschänken. Und sie müssten dort auch laute Musik machen dürfen. Ein Mädchen denkt an einen Pavillon, am besten beheizt. Und Alkohol müsse fließen dürfen.
Alkoholverbotszone hat laut Bürgermeisterin kaum Chance
Ronald Kötz erzählt, ihm seien schon Schläge angedroht worden, nachdem er die jungen Leute auf die „chaotische Situation“ hingewiesen hatte. Aus seiner Sicht ist eine Alkoholverbotszone nötig. So wie es sie auch für Bahnhofsplatz und Theaterplatz, Stadtpark und Rosengarten, Nikolaiplatz und alle Spielplätze gibt.
Die Bürgermeisterin sieht dafür nur geringe Chancen und verweist auf Gerichtsentscheidungen, die in Erfurt eingerichtete Zonen dieser Art gekippt hätten. Eingerichtet werden könnten diese inzwischen nur noch, wenn „nachweislich gehäuft Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten an einem Platz stattfinden.“