Alle Jahre wieder an Heiligabend: Eine Weihnachtsgeschichte für Jung und Alt von Verena Zeltner.

Rechtschaffen müde war Franz von der Nachtschicht, der letzten vor den Feiertagen, nach Hause gekommen. Jetzt schnell schlafen, damit er am Abend zur Bescherung wieder fit war!

Mit gemischten Gefühlen betrachtete er das Weihnachtsmannkostüm, das am Kleiderschrank hing. Seine Schwester Anna hatte ihn so lange bearbeitet, bis er sich breitschlagen ließ, ihren Sohn Amadeus zu überraschen. Der hatte, wie Anna meinte, ein gestörtes Verhältnis zum Weihnachtsmann. Er glaubte nämlich nicht an ihn.

Franz gähnte. Sein Blick fiel auf den weißen Rauschebart. Das würde er sich nicht antun, hatte er gesagt. Doch Anna hatte darauf bestanden. „Franz, den hat Friedhelm extra für dich besorgt. Ohne Bart würde Amadeus dich sofort erkennen. Da könnten wir uns den ganzen Aufwand schenken“, hatte sie gesagt. „Außerdem: Hast du schon mal einen Weihnachtsmann ohne Bart gesehen?“

Das Klingeln des Telefons riss ihn aus dem Schlaf. Anna. „Was denn noch, es ist gerade mal 14 Uhr“, murmelte er schlaftrunken.

Anna heult

Anna klang ganz aufgeregt. „Franz, tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Aber du musst nachher unbedingt noch bei meiner Freundin vorbeischauen!“

Franz war sauer. Was um alles in der Welt ging ihn Annas Freundin an? „Nee du, mach das mal bitte schön selber“, sagte er.

„Würde ich ja, aber ich schaffe es beim besten Willen nicht, ich habe noch so viel zu tun! Franz, es ist wirklich ungeheuer wichtig! Wenn du nicht…“ Seine Schwester schluchzte hörbar.

Er seufzte und fragte: „Was ist eigentlich los? Und was soll ich machen?“

Sofort hörte das Schluchzen auf. „Nicht viel, wirklich nicht“, antwortete Anna. „Meine Freundin Franziska ist unterwegs, um ihre kleine Tochter aus dem Krankenhaus abzuholen. Sie hatte mich gebeten, ein paar Dinge für sie einzukaufen. Ich habe alle Einkäufe hier, du müsstest nur die Taschen in ihre Wohnung bringen. Bitte, Franz! Sie kommt aus der Klinik und hat womöglich nicht mal ein Stück Brot im Haus – und das am Heiligabend!“

Franz wusste, was jetzt kam: Dass er als Junggeselle doch alle Zeit der Welt hätte, sich um keine Familie kümmern müsse… Er gab sich geschlagen. „Gut, ich mach’s ja.“

„Ach ja“, sagte Anne noch. „Bevor du dich auf den Weg machst: Komm doch am besten gleich in deinem Weihnachtsmannkostüm, dann musst du auf dem Rückweg nicht noch mal in deiner Wohnung vorbei.“

Das leuchtete Franz ein, also begann er, sich zu verkleiden: Schwarze Stiefel, roter Kapuzenmantel – das passte. Nur mit dem langen weißen Bart hatte er eine ganze Weile zu kämpfen. Er schnappte sich den Jutesack, den Anna mit Amadeus’ Geschenken füllen sollte, und wollte sich gerade auf den Weg machen, als er eine Nachricht von Anna bekam: „Denk an den Bart!“

Sie kam ihm schon an der Haustür entgegen und half ihm, mehrere große Einkaufstaschen im Kofferraum seines Wagens zu verstauen. „Hier, Adresse und Wohnungsschlüssel. Danke Bruderherz, du bist ein Schatz! Und der Bart steht dir wirklich gut.“ Sie umarmte ihn kurz, dann schlug die Haustür hinter ihr zu.

Chaos im Advent

Die Wohnung von Annas Freundin lag zum Glück in der ersten Etage. Franz stellte die Einkaufstaschen auf dem Treppenabsatz ab und schloss die Wohnungstür auf. Im Flur fielen seine Blicke auf eine noch im Netz verschnürte Nordmanntanne. Verwundert schüttelte er den Kopf. Heiligabend war doch heute? Ach was, das konnte ihm egal sein.

Er schleppte die Taschen in die Küche und glaubte seinen Augen nicht: Hier herrschte ein ziemliches Chaos. In Franziskas Wohnzimmer sah es nicht viel besser aus. Geschenkpapier, Schleifenbänder, Kartons mit Christbaumschmuck, Teller mit Schokoladenfiguren – alles kreuz und quer auf dem Tisch verstreut. Auf dem Boden lagen bunte Päckchen, dazwischen der Staubsauger, Wollsocken, rote Schuhe und die Weihnachtsbaumbeleuchtung. Am Sessel lehnte ein riesiger Elch aus Plüsch.

Franz war nicht gerade der Ordentlichste. Aber diese Unordnung hier war selbst ihm zu viel.

Er schaute zur Uhr. Bis zu seinem Auftritt als Weihnachtsmann war noch reichlich Zeit. Er ging zurück in die Küche und begann, die Einkäufe auszupacken. Das meiste konnte er im Kühlschrank verstauen, der wirklich gähnend leer gewesen war. Er spülte das Geschirr, das sich im Becken türmte, und für den Elch machte er auch das Wohnzimmer zumutbar.

Seltsam, dass er sich gerade jetzt daran erinnerte, wie leidenschaftlich gern er als Kind geholfen hatte, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Er hatte noch über eine Stunde Zeit, warum also nicht… So holte er die Tanne aus dem Flur, den Christbaumständer entdeckte er schließlich im Bad.

Er schaltete das Radio ein, mit Weihnachtsliedern machte das Baumschmücken gleich noch mehr Freude, wenn auch der lange Mantel nicht gerade die ideale Arbeitsbekleidung war, vom Bart ganz zu schweigen.

Bunte Kugeln, schimmernde Schokoladenherzen, Strohsterne – zufrieden betrachtete Franz den geschmückten Baum. Er schaltete die Weihnachtsbaumbeleuchtung ein. Perfekt! Bis auf die Tannennadeln auf dem Teppich.

Männer am Staubsauger

Wieder schaute er zur Uhr. Schnell noch durchsaugen, das würde er schaffen. Als er sich bückte, um die Nadeln unter dem Baum wegzusaugen, passierte es: Die Düse des Staubsaugers erfasste die Spitze seines langen Bartes und zog ihn im Nu mit hinein.

Das Gerät heulte auf. Als Franz endlich reagierte und den Stecker zog, war es zu spät – für den Bart jedenfalls. Er hing nicht mehr an seinem Gesicht, sondern in Fetzen am Staubsauger.

Franz rieb sich sein Kinn und fluchte. In diesem Moment klingelte sein Handy. „Kommst du? Und sitzt der Bart noch?“, wollte seine Schwester wissen. „Sicher doch“, murmelte Franz.

Was nun? Er versank im Sofa und dachte nach. Doch sein Gehirn war wie leergefegt.

„Zum Teufel mit dem Bart!“, sagte sich Franz schließlich. Sollten Anna und Friedhelm einmal allein mit ihrem verwöhnten Sprössling klarkommen! Die Welt würde nicht untergehen, wenn er bei der Bescherung nicht als Weihnachtsmann auftauchte! Amadeus würde seine Geschenke so oder so bekommen.

Franz erhob sich und verließ die Wohnung, um aus dem Kofferraum seines Wagens den Jutesack zu holen, den er für Amadeus’ Weihnachtsgeschenke vorgesehen hatte. Das hatte sich ja erledigt. So verstaute er die Geschenke für das fremde kleine Mädchen im Sack und stellte ihn vor dem Christbaum auf.

„Einen schönen Platz hast du hier, und ich muss hinaus in die Kälte“, sagte er dem Elch, der nun auf der Couch saß. Franz überlegte, Anna reinen Wein einzuschenken. So griff er nach seinem Handy und textete seiner Schwester, dass er, sorry, nicht mehr kommen würde. Dann schaltete er sein Handy aus.

Wieder musste er gähnen. Vielleicht sollte er sich kurz ausruhen, ehe er sich in der mittlerweile eingebrochenen Dunkelheit auf den Heimweg machte. Fünf Minuten nur. Er lehnte sich an den Elch und merkte gar nicht, wie ihm die Augen zufielen.

Franziska lacht

„Um Himmels Willen, Einbrecher am Heiligabend!“ Eine aufgeregte Frauenstimme weckte ihn. „Ich muss sofort die Polizei rufen! Trixi, bleib bei mir!“

„Aber Mama, das ist kein Einbrecher, das ist der Weihnachtsmann!“ Mühsam öffnete Franz seine Augen und sah ein kleines Mädchen vor sich stehen. Große dunkle Augen blickten ihn neugierig an.

Noch ehe Franz etwas sagen konnte, wandte sich die Kleine zu ihrer Mutter, die im Türrahmen stand und ziemlich fassungslos umherschaute. „Mama, du hast mir erzählt, dass wir den Weihnachtsmann verpasst haben. Und du hast gesagt, wir hätten keinen Weihnachtsbaum! Und was ist das?“ Sie stemmte beide Arme in die Hüften. „Mama, ich glaube, du hast mich beschwindelt! Und schwindeln darf man nicht, sagst du immer! Stimmt doch, oder lieber Weihnachtsmann?“

Franz spürte eine kleine weiche Hand in seiner. „Stimmt, schwindeln darf man nicht“, stammelte er. „Übrigens guten Abend, und Entschuldigung, dass ich hier eingepennt bin. Ich bin hier, weil… Also das ist so… Meine Schwester Anna hat mich geschickt. Ich sollte ja nur…“

Franziska, die Frau aus dem Türrahmen, unterbrach ihn laut lachend. Franz verstand gar nichts mehr.

„Weihnachtsmann, wie hast du denn das nur alles geschafft?“, fragte Franziska schließlich. „Na ja, ich hab halt ein bisschen gewirbelt“, antwortete Franz verlegen. „Nicht der Rede wert.“

Als Trixi den Christbaum musterte, besann sich Franz auch ohne Rauschebart seiner Rolle als Weihnachtsmann, und so fragte er: „Trixi, kannst du denn ein Gedicht aufsagen?“

„Aber natürlich!“, antwortete das Mädchen und legte los: „Lieber guter Weihnachtsmann …“

„Sehr schön“, lobte Franz. „Dann komm mal her zu mir.“ Kurzerhand schüttete er den Sack aus. Trixi jubelte.

„Weihnachtsmann, ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll“, sagte Franziska nach einer Weile. „Ich koche gern und würde dich ja zum Essen einladen. Aber ich habe leider nichts da, bin nicht zum Einkaufen gekommen...“

„Was das betrifft, da kann ich dich beruhigen“, sagte Franz und grinste. „Annas Einkaufsliste war ziemlich lang, dein Kühlschrank platzt aus allen Nähten. Vielleicht sollten wir gleich mal nachschauen.“ Er griff nach ihrer Hand und zog sie mit in die Küche. „Ich koche nämlich auch gern und vielleicht könnten wir gemeinsam…“

Spaghetti mit Tomatensoße

„Kochen mit dem Weihnachtsmann? Habe ich noch nie probiert“, antwortete sie, und Trixi gab gleich das Menü vor: Spaghetti mit Tomatensoße. „Hohoho, das ist eine meiner leichtesten Übungen!“, sagte Franz.

„Macht es dir was auch, wenn ich meinen Mantel ausziehe, bevor wir uns ans Werk machen?“, fragte er Franziska. „Erstens ist mir ziemlich warm in dem Ding und zweitens aus Gründen des Arbeitsschutzes – damit er nicht auch noch verunglückt wie mein Bart!“

Franziska schaute ihn mit großen Augen an. „Dein Bart? Verunglückt?“

„Hm. Der steckt in deinem Staubsauger.“

Die Kinder- und Jugendbuchautorin Verena Zeltner aus Neunhofen schreibt seit 2003 jedes Jahr eine heuter-besinnliche Weihnachtsgeschichte für die Leser der OTZ. Eine große Auswahl solcher Erzählungen sind zu finden in ihrem unlängst erschienenen Buch „Weihnachtsgeschichten für kleine und große Leute“.