Sömmerda. Direktkandidaten im Wahlkreis 16 Doris Bauerle tritt für die Internationalistische Liste/MLPD als Einzelbewerberin an

„Marxismus-Leninismus?! Wissen Sie, wann ich das zum letzten Mal gehört habe? Vor 30 Jahren!“, sagte staunend eine Frau auf dem Parkplatz eines Discountmarktes. Ausgerechnet vor den Hochburgen des kapitalistischen Handels und Konsumstrebens – Rewe, Edeka, Penny, Norma, Netto, Lidl und wie sie im Erfurter Land alle heißen mögen – sammelte Doris Bauerle, hörbar nicht aus dieser Gegend, über Wochen Unterstützerunterschriften für ihre Kandidatur um ein Direktmandat bei den Thüringer Landtagswahlen. Wo hätte sie auch sonst die erforderliche Zahl an Schriftzügen inklusive nachprüfbarer Adresse und im Wahlkreis wohnhaft zusammenbekommen sollen.

In Gebesee, der einzigen Stadt, hatte sie einen Passanten gefragt, ob es denn einen Marktplatz gebe. Den gebe es, hat sie erfahren. „Aber da ist nichts los!“ Also zum Discounter.

Schwierigkeiten, die geforderten 250 Unterstützungsunterschriften zusammen zu bekommen hatte sie nicht, sagt sie. 277 wurden vom Kreiswahlausschuss anerkannt; „Es waren ein paar Erfurter dabei“, sagt sie..

Von Stuttgart nach Sömmerda wegen Kölleda

Die Menschen seien ihr offen begegnet, freundlich. Nur ganz wenige hätten unwirsch abgewunken. Doris Bauerle (59, zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe) tritt im Wahlkreis 16 als Einzelbewerberin für die Internationalistische Liste/Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands an, ihr zweiter Mann Joachim im Nachbarwahlkreis 17. Es ist ein Großprojekt. Nicht in allen Thüringer Wahlkreisen hat es die MLPD geschafft, Direktkandidaten zu platzieren, aber in vielen. 44 Wahlkreise gibt es. Doris Bauerle überschlägt, dass 34 davon „abgesichert“ sind.

Aufgewachsen ist sie in Nordrhein-Westfalen in einer Arbeiterfamilie, auf einem Dorf ohne Kindergarten. Sie hat Einzelhandelskaufmann (so hieß das auch für Frauen) gelernt und ist dann der Liebe wegen nach Baden-Württemberg gezogen. Sie arbeitete im Verkauf, als Schreibkraft bei einer Versicherung, später im öffentlichen Dienst.

Beide Bauerles sind im Juni 2018, aus Baden-Württemberg nach Sömmerda gezogen. Auf Mission sozusagen. Es gibt keine Kreisgliederung der vom Verfassungsschutz beobachteten MLPD im Landkreis Sömmerda, keine funktionierenden Strukturen. Sie wollen helfen, das zu ändern.

Joachim Bauerle, lange Jahre Bandarbeiter bei Daimler und jetzt, kurz vor der Rente, in der Ruhephase der Altersteilzeit, sei sofort Feuer und Flamme gewesen. Die Nähe des Kölledaer Motorenwerks, vor dem sie seitdem schon mehrfach Flugblätter verteilt hätten, habe den Ausschlag für Sömmerda gegeben.

Sie dagegen habe Zeit gebraucht, sich dann aber anstecken, überzeugen lassen. Die Parteiarbeit sei aber ihr Lebensinhalt. Doris Bauerle muss/will dafür pendeln. Sie arbeitet noch in Teilzeit (50 Prozent) und zwar in der Stuttgarter Stadtverwaltung. Sie arbeitet im Vorzimmer einer Amtsleiterin der Stadtkämmerei, in deren Zuständigkeit Gewerbe- und Aufwandssteuern fallen.

Zwei Jahre, hat sie ausgerechnet, muss sie für eine einigermaßen auskömmliche Rente noch pendeln. Das würde sie tun, wenn sie denn nach der Wahl in Sömmerda blieben. Ihr Mann würde wollen. Sie atmet auf die Frage hin erst einmal durch und zögert. Das müsse erst noch besprochen werden.

In Sömmerda habe sie sich gut eingelebt, sei freundlich aufgenommen worden, habe Kontakte geknüpft und neue Freunde gefunden. „Ich bin selbst auf dem Dorf groß geworden“, sagt sie. Die Stadt komme ihr im vergleich mit Stuttgart wie ein Ruhepol vor, nicht so hektisch. „Wir fühlen uns wohl“, stellt sie fest. Die Wohnung in der Albert-Einstein-Straße, in Sömmerdas großem Plattenbauviertel, sieht so heimelig eher nicht aus, eher funktional. Die Dinge, die die Leute in der Nachbarschaft umtreiben, nach 30 Jahren Einheit noch immer nicht zu grundlegend gleichen Verhältnissen (Lohn, Rentenhöhe und -alter, Arbeitszeit) im Vergleich zu den alten Bundesländern gekommen zu sein und den Niedergang des ländlichen Raums (negative demografische Entwicklung, schlechte Erreichbarkeit durch den öffentlichen Personennahverkehr) gäben ihr die Argumente. Sie sagt, die Befreiung der Frau liege ihr sehr am Herzen. Dazu bewegten sie neben eigenen Erfahrungen auch die alleinerziehender Kolleginnen, die u.a. bei MDC in Kölleda nicht in Teilzeit oder in Dauerfrühschicht arbeiten könnten.

Sie habe früh in ihrer Baden-Württemberger Zeit den Kapitalismus als die Ursache aller Probleme erkannt und sich für ein Engagement in der MLPD entschieden. Sie wolle ein Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung, ein Leben in Einheit von Mensch und Natur.

Wahlkampf-Hilfe kommt aus der alten Heimat

Und so habe sie sich entschlossen, den Sozialismus ausgerechnet dahin zu re-importieren, wo er schon einmal krachend gescheitert ist? Der, der real existierende, so Doris Bauerle, sei nicht der wahre, nicht der richtige Sozialismus gewesen, vielmehr eine Perversion davon, ein Sozialismus, in dem nicht mehr das Wohl der Arbeiterklasse, sondern das einzelner Bürokraten im Mittelpunkt gestanden hätten. Neben dem großen eigenen Einsatz im Wahlkampf bekommt Doris Bauerle Unterstützung – u.a. beim Plakatieren durch Manpower, aber auch materiell – aus ihrer „alten Heimat“. Die MLPD aus dem baden-württembergischen Sindelfingen ist Partnerorganisation der Bauerles.

Gefragt nach einer realistischen Einschätzung ihrer Aussichten sagt Doris Bauerle, dass sie natürlich nicht mit einem Einzug in den Landtag rechne. Ihr Ziel sei es, die MLPD in der Region bekannter zu machen. Sie hofft auf 5 Prozent.

Kurze Fragen

Wie lautet Ihr Lebensmotto?

„Die Welt ist ein schöner Ort und wert, dass man um sie kämpft.“

Was tun Sie morgens nach dem Aufstehen als erstes?

Die Kaffeemaschine einschalten.

Was war Ihr bisher schönstes Erlebnis?

Ich habe viele schöne Erlebnisse in meinem Leben gehabt, da gibt es kein „schönstes“.

Und was war Ihr schlimmstes Erlebnis?

30.9.2010 – Stuttgart 21 – Schwarzer Donnerstag: Polizeieinsatz mit Wasserwerfern auf friedliche Demonstranten.

Ihr größtes Hobby?

Auf Reisen gehen.

Ihr Lieblingsbuch?

„Katastrophenalarm – Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“ von Stefan Engel.

Welche Art von Musik hören Sie am liebsten?

Von Pop-Musik bis Klassik.

Ihr Lieblingsessen?

Kässpätzle.

Was erzürnt Sie?

Die Ungerechtigkeiten, die der Kapitalismus verursacht.

Ihre Stärken?

Geduld, gute Zuhörerin, mutige couragierte Frau.

Ihre Schwächen?

Naschen: Süßigkeiten, Kuchen.

Haben Sie Haustiere?

Nein.

Was mögen Sie eher: Sommer oder Winter?

Sommer, aber nicht zu heiß.

Wohin fahren Sie im Urlaub: lieber ans Meer oder eher in die Berge?

Ans Meer.

Was würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen?

Ein Zelt, Bücher, meinen Fotoapparat.

Und wen?

Meinen Mann.