Erfurt. Der LSB-Präsident Stefan Hügel und der ESC-Geschäftsführer Marian Thoms sprechen im aktuellen TA-Sporttalk über die Erfurter Dopingaffäre, deren Aufarbeitung und eigene Ansprüche.

Achtung, Rutschgefahr! Die Stufen im Treppenhaus am Erfurter Anger, die hinaufführen zum Studio von Salve TV, waren gerade frisch gewischt. Mindestens ebenso unsicher ist das Terrain, auf dem sich der Thüringer Sport seit gut vier Wochen wiederfinden muss.

Die Dopingaffäre um den Erfurter Arzt Mark Schmidt beherrscht landauf und landab die Schlagzeilen, weshalb sie auch beim aktuellen „Sporttalk im Steigerwaldstadion“ gleich am Anfang der Debatte stand. Stefan Hügel, im November neu gewählter Präsident des Landessportbundes Thüringen (LSB) und Marian Thoms, Geschäftsführer des Eissportclubs Erfurt (ESC), diskutierten teils kontrovers und leidenschaftlich mit den Moderatoren und TA-Redakteuren Gerald Müller und Marco Alles.

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Die Dopingaffäre

Hügel: Der Fall bringt den ganzen Sport im Osten, in Thüringen und in Erfurt, in Misskredit. Wir als LSB verstecken uns nicht, wir glauben schon, dass wir uns da klar positionieren. Wir haben die letzten Jahre versucht, uns ganz bewusst in den Kampf gegen Doping einzubringen, haben mit Dopingopfern einen Arbeitskreis gebildet, um Betroffenen aus früheren Zeiten zu helfen. Jetzt müssen wir verhindern, dass Wege weitergegangen werden, die dann bei irgendeinem Mark Schmidt landen.

Thoms: Der Fall betrifft uns direkt nicht, aktuell gibt es keine Verbindungen zu Dr. Schmidt. Aber wir werden angesprochen, jeden Tag kommen Leute und fragen: Was habt ihr damit zu tun? Die Auswirkungen auf die Nachwuchsgewinnung und Talentsichtung können wir noch gar nicht genau beziffern. Das wird sich erst Jahre später zeigen.

Eisschnelllauf am Pranger

Thoms: Das hat uns schon sehr erschrocken. Man fängt an zu überlegen. Wer ist es? Habe ich mit demjenigen vielleicht zusammengearbeitet? Namen wissen wir auch nicht. Schade, dass seit 14 Tagen alle spekulieren und kein Name ans Licht kommt. Dafür wird es Gründe geben von den ermittelnden Behörden. Aber es ist nicht schön, die Eisschnellläufer damit unter Generalverdacht zu stellen.

Die Praxis Schmidt

Hügel: Wir hatten zwölf Praxen als sportärztliche Beratungsstelle seit Ende der 90er-Jahre. Wir hatten damals Sportarztpraxen gesucht, die in der Lage sind, die Eignung von jungen Sportlern für die Aufnahme am Sportgymnasium zu prüfen. Sie zu untersuchen, ehe sie in den Leistungssport wechseln. Das ist nach wie vor hoch sinnvoll, wie ich finde. Irgendwann war die Lizenzierung an die Praxis Schmidt gegangen.

Im Laufe der Zeit haben wir übersehen, dass der Sohn in die Praxis Schmidt eingegangen ist. Das war ein Fehler, das haben wir gesagt. Im Übrigen, es war immer nur ein Verdacht ab 2008. Aber aus einem Verdacht heraus lassen sich im Rechtsstaat keine Erlaubnisse widerrufen. Da brauchen Sie eine rechtskräftige Feststellung. Aber wenn wir gesehen hätten, dass der Sohn mit drin ist, hätten wir die Fachverbände natürlich informiert, seid vorsichtig.

Die Konsequenzen

Hügel: Aus Fehlern muss man Konsequenzen ziehen. Natürlich werden wir uns die Lizenzierungen, die alle mit der Ärztekammer zusammen gelaufen sind, anschauen. Und wir werden bei Verlängerungen genau hinsehen, wer in der Praxis arbeitet.

Die Lehren

Thoms: Aktuell sehe ich nicht viel Gutes. Es bleibt immer ein fader Beigeschmack. Auch für uns als Fachverband ist das fraglos ein großes Problem.

Hügel: Wir können das Totaldesaster auch als Chance nutzen. In die Offensive gehen. Alles auf den Kopf stellen, soweit wir zuständig sind. Schauen, dass wir künftig für sauberen Sport saubere Rahmendaten bieten. Denn wir brauchen das Vertrauen der Eltern. Wir haben einen schlimmen Einzelfall, müssen aber aufpassen, dass es nicht heißt, in Erfurt, in Thüringen, in Deutschland wird gedopt. Sonst haben wir bald keinen mehr, der hier Sport treiben will.

Thoms: Ich gehe davon aus, dass wir keinen systematischen Betrug in Vereinen oder Verbänden haben. Prävention ist unsere Hauptaufgabe. Wir müssen die Sportler über Gefahren informieren und davor schützen, dass sie in solche Verhältnisse kommen. Ansonsten gilt für mich: Bei solchen harten Fällen sollte ein überführter Täter keine zweite Chance bekommen.

Generationenwechsel

Hügel: Thomas Zirkel, der künftige Hauptgeschäftsführer des LSB und Nachfolger von Rolf Beilschmidt, wird ab 1. Mai eingearbeitet. Damit wird der nötige Generationswechsel im Hause und Hauptamt eingeleitet. Beide arbeiten einige Monate parallel, ab 1. September ist Thomas Zirkel dann im Amt. Wir erwarten eine Menge von ihm. Er ist gut aufgestellt im Sport. Und er kennt sich als ausgebildeter Jurist in der Verwaltung aus.

Rolf Beilschmidt

Hügel: Er ist extrem gut vernetzt, kennt jeden im Sport und kann so viele Dinge schnell per Telefonanruf erledigen, die bei anderen viel Vorarbeit benötigen. Als LSB versuchen wir uns, künftig teamorientiert aufzustellen, alle mitzunehmen. Das wird also vielleicht anders sein. Beilschmidt hat aufgrund seiner großen Kompetenz viel allein gemacht. Das ist nicht im negativen Sinne gemeint, er hat nur viel bei sich konzentriert gehabt.

LSB und Vergangenheit

Hügel: Wenn einer wie Rolf Beilschmidt immer den Vorwurf bekommt, dass er gedopt hat, was er im Übrigen zugegeben hat, dann muss man sehen, wann das war – in der Zeit des Hochdopings in Ost und West in den 70er- und 80er-Jahren. Das soll kein Generalverdacht für diese Zeit sein, aber Doping war damals ein Massenphänomen. Immer wird gefordert, dass man sich im Zuge der Aufarbeitung der Vergangenheit auch zu ihr bekennen muss, dass man sogar mehr davon bräuchte, damit man dieses ganzes Desaster aufarbeiten kann. Und wenn‘s dann einer macht, wird er täglich ans Kreuz genagelt.

Ich sage: Da bekennt wenigstens einer seine Schuld. Viele bleiben in der Deckung. Die Diskussion wäre ehrlicher und fruchtbarer, wenn man sagen würde: so ist es gelaufen, da war vieles schlecht, so können wir nicht weiter machen. Aber das wird schwierig, wenn einer den Kopf heraus streckt und dafür sofort Prügel bezieht. Ich will ihn nicht rechtfertigen. Aber ich will sagen: Er hat wenigstens da sein Kreuz gezeigt.

Erfurt und Weltcup

Thoms: In der nächsten Saison wird es leider keinen Weltcup hier geben. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hat Deutschland überhaupt keinen internationalen Wettkampf bekommen. Wir wurden angefragt für November 2019, aktuell ging dieser Weltcup nach Polen. Gründe wissen wir nicht. Ich hoffe, es hat mit den aktuellen Ereignissen nicht zu viel zu tun. Aber das könnten eben auch Konsequenzen sein.