Erfurt. Für den deutschen Co-Trainer Enrico Göbel aus Erfurt ist die EM im Blindenfußball das letzte große Turnier – mit Titelchancen.

Den bisherigen emotionalen Höhepunkt erlebt Enrico Göbel vor knapp zwei Jahren beim Blindenfußball-Spieltag im Herzen seiner Geburtsstadt Erfurt. Genau zehn Jahre hatte der ehemalige Blindenfußball-Nationaltorhüter darauf gewartet, dass die Bundesliga mit den besten deutschen blinden Kickern in Thüringens Hauptstadt gastiert. Als Trainer von Blindenfußball-Bundesligist Borussia Dortmund steht der Erfurter im September 2020 dann auf „seinem“ Domplatz, der mit Kunstrasen vom Dom- zum Fußballplatz umfunktioniert war.

Ab 8. Juni hofft der 40-Jährige, dieses Erlebnis toppen zu können: Bei der Europameisterschaft im Blindenfußball im italienischen Pescara könnte es für ihn mit etwas Glück das „grande finale“ seiner Sport- und Trainerkarriere geben.

„Ich habe im Blindenfußball sehr viele unvergessliche Momente erleben dürfen“, erzählt Göbel mit spürbarer Begeisterung. Der in Steinbach-Hallenberg im Thüringer Wald aufgewachsene Sportler kann in seiner Karriere auf 87 Länderspiele zurückblicken, die meisten davon als Co-Trainer der Blindenfußball-Nationalmannschaft.

Der Diplom-Informatiker ist der Erfahrenste im deutschen Team

Dass der Diplom-Informatiker zum Blindenfußball kam, war eher Zufall: Als interessierter Zuschauer erlebt er 2010 in Würzburg sein erstes Blindenfußball-Bundesligaspiel. Kurze Zeit später ist er bereits als sehender Torwart beim Training des unterfränkischen Bundesligisten dabei. „Nur nach dem Gehör mit dem Rasselball Fußball zu spielen, begeistert mich bis heute“ erzählt der Torwart, der als Keeper der einzig sehende Spieler seines Teams ist. Zwei Jahre nach seinem ersten Bundesligaspiel folgt die Nominierung zum Nationaltorwart. Direkt bei Göbels erster Europameisterschaft 2013 gelingt die bisher beste Platzierung: Platz vier bedeutete zugleich die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2014 in Japan. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere vor fünf Jahren wird Göbel Co-Trainer der Nationalmannschaft und Chefcoach von Blindenfußball-Bundesligist Borussia Dortmund.

Ab kommenden Mittwoch wird es nochmal ernst: Dann nimmt Göbel im italienischen Pescara an seiner fünften EM teil und ist damit der erfahrenste Akteur im Stab von Nationaltrainer Martin Mania sowie Kapitän und Rekord-Nationalspieler Alexander Fangmann. „Unser Ziel ist es, uns für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in England zu qualifizieren“, erklärt Göbel. Um dies zu erreichen, ist bei der EM das Halbfinale Pflicht. Der Titelgewinn wäre die Qualifikation für die Paralympics 2024 in Paris.

Und die Chancen auf einen EM-Erfolg stehen gut: „Unsere Stärke ist der Teamgeist, alle stehen füreinander ein. Wir haben das Ziel, unsere bisher beste Europameisterschaft zu spielen“, so der gelernte Diplom-Informatiker. Das Ziel ist ambitioniert, denn die deutsche Nationalmannschaft wurde erst 2007 gegründet und taucht damit auf der „Blindenfußball-Landkarte“ erst Jahrzehnte nach etablierten Nationen wie Rekordeuropameister Spanien oder England auf.

Starke Ergebnisse in der EM-Vorbereitung

Genau auf diese beiden Gegner wird Deutschland in der EM-Vorrunde treffen, außerdem warten Rumänien und Polen. Mitte Mai konnte Polen in der EM-Vorbereitung mit 9:1 besiegt werden, gegen Gastgeber Italien gewannen die Deutschen 1:0 und dem Weltranglisten-Vierten Japan konnten sie ein Unentschieden abtrotzen.

Nicht nur der Erfolg ist für den Erfurter Enrico Göbel ein wichtiger Antrieb: „Barrieren existieren oft nur in den Köpfen. Mich fasziniert es, über den Sport weltweit mit Menschen in Kontakt zu kommen“, freut er sich auf die nächsten internationalen Begegnungen in Pescara und betont: „Ohne den Blindenfußball hätte ich eine Vielzahl wunderbarer Gespräche nicht geführt.“

Der Begriff Inklusion treffe auf den Blindenfußball umfassend zu: „Unser Sport funktioniert nur, wenn blinde und sehende Sportler gemeinsame Sache machen“, erläutert Göbel, der nicht nur sportlich, sondern auch beruflich täglich mit Inklusion und Barrierefreiheit zu tun hat. Unterstützung für seine Ambitionen findet Göbel durch seinen Vorgesetzten Joachim Leibiger, dem Thüringer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen. Für das bevorstehende EM-Turnier erhielt er eine Freistellung.

„Der Blindenfußball verlangt allen mir nahestehenden Personen sehr viel ab. Dank diesem Rückhalt und der Unterstützung meiner Dienststelle habe ich den Kopf für das Turnier frei und kann meiner Mannschaft in Italien bestmöglich helfen“, freut sich Enrico Göbel.

Die EM kann also kommen ...

Die Spielregeln: Ein Team im Blindenfußball besteht aus vier blinden Feldspielern und einem sehenden Torwart. Gespielt wird auf einem Spielfeld mit Seitenbanden, das so groß ist wie ein Handballfeld. Die Feldspieler orientieren sich nur über ihren Hörsinn. Wichtig hierfür sind die Kommandos des Torhüters als „Auge“ seiner Verteidigung sowie zwei sogenannte Guides pro Mannschaft, die von außen zusätzlich Orientierung geben. Seit 2004 ist die Sportart paralympisch.