Gräfenroda. Damals war’s! Vor 50 Jahren stellte der Meißner Gewichtheber Peter Wenzel in Gräfenroda eine europäische Bestmarke auf

Ein Meilenstein in der Geschichte des Gräfenrodaer Gewichthebens war heute vor 50 Jahren die DDR-Meisterschaft der Junioren auf der Bühne im Saal des Gräfenrodaer Hotels „Deutsches Haus“. Dort gelang Peter Wenzel aus Meißen im Mittelgewicht nicht nur eine Dreikampfleistung von 420 Kilogramm sondern im Reißen als Krönung mit 428 Kilo ein neuer Junioren-Europarekord.

Nachdem schon am 22. November 1969 bei einem Länderkampf DDR gegen die Lettische SSR der Leichtgewichtler Gennadi Iwanowitsch Iwantschenko im Olympischen Dreikampf mit 492,5 Kilogramm einen vielbeachteten Weltrekord aufstellte, wurde der kleine Thüringer Ort, der eigentlich nur durch Gartenzwerge aus Ton bekannt war, vorübergehend zur Top-Adresse bei der Ausrichtung von Gewichtheber-Events.

Gräfenroda bekam besonders durch seine „ausgezeichneten technischen Bedingungen und die hervorragende Organisation“ auch den Zuschlag für die DDR-Junioren-Meisterschaften am 16./17. April 1971. Das bestätigte der Generalsekretär des Deutschen Gewichtheber-Verbandes der DDR, Helmut Atzrodt, dem damaligen Gewichtheber-Sektionsleiter Erich Gebhardt von der BSG Chemie Gräfenroda. Mehr als 500 Zuschauer in einem Saal waren selbst für Ostverhältnisse außergewöhnlich.

Beachtliche DDR-Juniorenmeisterschaft im „Deutschen Hof“.
Beachtliche DDR-Juniorenmeisterschaft im „Deutschen Hof“. © Archiv René Röder

Die DDR-Juniorenmeisterschaft wurde zum Stelldichein künftiger Weltmeister und Olympiamedaillengewinner. Insgesamt elf DDR-Rekorde purzelten an jenem Wochenende durch die Cziezki, Wenzel, Losch und Gerd Bonk aus Limbach im Vogtland. Der damals 19-jährige spätere Weltmeister und Olympia-Zweite im Superschwergewicht schaffte in Gräfenroda seinen großen Durchbruch, nachdem er gerade anderthalb Jahre zuvor als Jugend-DDR-Meister vom Kugelstoßen zum Gewichtheben wechselte. In Gräfenroda gewann der damals 134 Kilogramm schwere Bonk im Dreikampf mit 530 Kilogramm (190, 140, 200 kg – Drücken, Reißen, Stoßen) und hätte um ein Haar auch noch einen Junioren-Weltrekord aufgestellt.

„Dreimal ließ Bonk zum Abschluss der Veranstaltung das Junioren-Weltrekordgewicht von 211 Kilo im Stoßen auf der Hantel, scheiterte dabei zumindest einmal nur ganz knapp“, erinnert sich Hilmar Bürger, der damals aus Gräfenroda berichtete.

Über Gerd Bonk staunten alle, aber keiner ahnte, dass ausgerechnet dieser junge Mann schon ein Jahr später in München Olympia-Bronze holen würde und der Superschwergewichtler später erster Gewichtheber-Weltrekordler der DDR mit 246,5 Kilogramm im Stoßen werden würde. Gerd Bonk bezahlte seinen Erfolg mit dem Leben, gilt als eines der schlimmsten Doping-Opfer im DDR-Leistungssport. Mit 37 wurde er Invalide, starb nur 63-jährig 2014 in Greiz. Vom Gräfenrodaer Wettkampf 1971 bleibt die Erinnerung besonders mit dem Junioren-Europarekord des Meißeners Peter Wenzel verbunden. Auch dieser hinterließ großen Eindruck und machte später Karriere als Weltmeister 1975 und Olympia-Bronzemedaillengewinner 1976.

Der erst 19-jährige Gerd Bonk schaffte in Gräfenroda beinahe einen ersten Weltrekord.
Der erst 19-jährige Gerd Bonk schaffte in Gräfenroda beinahe einen ersten Weltrekord. © Dieter Demme

Der Sachse trat immer als Frohnatur auf und hatte einen kuriosen Spitznamen. „Ich erinnere mich, dass sein Trainer immer rief: Das schaffst du, ‘Fletcher’. Als ich nach dem Grund für diesen Spitznamen fragte, sagte man mir, er würde so sehr von dem Film ‘Meuterei auf der Bounty’ schwärmen, in dem Marlon Brando den Meuterer Fletcher spielte“, so Hilmar Bürger, der sich selber wundert, warum ausgerechnet das nach 50 Jahren bei ihm hängen geblieben ist. „Ich selbst durfte später 1975 in Moskau erleben, wie Wenzel erster Zweikampf-Weltmeister der DDR wurde“, so Bürger.

Auch das inzwischen 85-jährige Gräfenrodaer Gewichtheber-Urgestein Bernhard Eckardt erinnert sich an eine kuriose Begebenheit. „Ich weiß noch genau, dass ich nach dem Wettkampf mit den Bonk-Eltern in der Gaststätte saß und Gerd Bonk kurz vorbei kam. Da sagte sein Vater: Nu Gerdchen, willst du noch ne Bockwurst haben? Dem Fastweltweltmeister war das ziemlich peinlich.“

Übrigens die Heberbühne im „Deutschen Hof“, in Vorkriegszeit mit enorm dicken Balken ausgestattet, war für Gewichtheben ideal, weiß Eckardt. „Das Problem war, dass genau unter der Bühne ein Kino im Keller war. Bei jedem Durchgang bröckelte der Putz von der Decke.“ Die Kinobetreiber der „HOG“ fanden das nicht lustig und in Mangelwirtschaftszeiten war es ausgeschlossen, die Decke auch zu verstärken, obwohl aus Berlin die Gräfenrodaer immer wieder künftige für internationale Wettkämpfe dafür sorgen sollten. Warum das dann doch nie gelang, bleibt ein Rätsel.

Fakt ist, dass diese DDR-Meisterschaft 1971 das letzte große Gewichtheber-Event im „Deutschen Hof“ war. Eines, an das sich nicht wenige in Gräfenroda auch heute noch gern erinnern.