Erfurt. Eisschnellläuferin Victoria Stirnemann geht ihren eigenen Weg – auch wenn sie von Gunda Niemann-Stirnemann sehr viel lernen kann.

Als ihr vor einem Monat in Barcelona bei fast schon sommerlichen 21 Grad der Frühlingswind um die Nase wehte, lag die Welt des Eisschnelllaufens ganz weit weg. „Ich habe mit meiner Patentante die Stadt besucht und konnte den Urlaub so richtig genießen“, sagt Victoria Stirnemann: „Das hat unheimlich gut getan.“

Dieses Gefühl durfte die junge Erfurterin im zurückliegenden Winter schon auf dem Eis auskosten. Mit fünf deutschen Meistertiteln bei den Juniorinnen sowie den ersten beiden Weltcup-Podestplätzen ihrer Karriere ist die Tochter der dreifachen Olympiasiegerin Gunda Niemann-Stirnemann längst die beste deutsche Eisschnellläuferin ihrer Altersklasse. „Es ist schön, dass ich mich mit diesen Ergebnissen für das Training selbst belohnt habe“, sagt die 16-Jährige.

Via Instagram können die Wintersport-Fans bereits am Weg der talentierten Eisschnellläuferin vom ESC Erfurt teilhaben. Dass sie wie ihre erfolgreiche Mutter auf dem Eis-Oval gelandet ist, war nicht unbedingt eine logische Konsequenz. Die Eltern haben sie nie dazu gedrängt, sich die Schlittschuhe unter die Füße zu schnallen. „Als ich fünf Jahre alt war und in der Eishalle stand, habe ich sie gefragt, ob ich das auch mal darf“, sagt die Junioren-Meisterin beim Blick zurück.

Ungewohnte Bewährungsprobe gemeistert

Ehrgeizig sein, akribisch arbeiten, Niederlagen als Ansporn verstehen – das hat Victoria Stirnemann aber durchaus von ihrer Mutter in die Wiege gelegt bekommen. „Ich bin am Anfang auf dem Eis viel hingefallen. Aber ich wollte es unbedingt alleine schaffen, wieder aufzustehen“, sagt die 16-Jährige, die beim Eisschnelllauf den Rausch der Geschwindigkeit liebt.

Der zurückliegende Winter hat genügend Gelegenheiten geboten, viele neue Dinge zu lernen. Zum ersten Mal absolvierte sie eine komplette Weltcup-Serie bei den Juniorinnen, musste sich dafür aber erst noch qualifizieren. Die internationalen Vergleiche gegen meist zwei bis drei Jahre ältere Konkurrentinnen waren enorm wichtig, um Erfahrungen zu sammeln. Sechs Wettkämpfe in sieben Wochen unter hoher Belastung waren ebenso eine bislang ungewohnte Bewährungsprobe.

Als die Gelegenheit günstig war, verschaffte sich Victoria Stirnemann das erhoffte Erfolgserlebnis. Beim Junioren-Weltcup auf der Freiluftbahn in Helsinki jubelte sie bei frostigen minus 18 Grad über die Plätze zwei (1500 Meter) und drei (1000 Meter) und damit über die ersten internationalen Medaillen ihrer Karriere. Natürlich waren kurz vor der Junioren-Weltmeisterschaft nicht alle internationalen Konkurrentinnen am Start. Als sie aber über die 1000 Meter sogar Michelle de Jong, die spätere Titelträgerin aus den Niederlanden, hinter sich ließ, war es der Fingerzeig dafür, dass sie auf dem richtigen Weg ist.

Junioren-Weltcup und Olympische Jugendspiele als nächste Ziele

Als sie zwei Wochen später zur Weltmeisterschaft auf der Freiluftbahn im italienischen Baselga de Pine bei frühlingshaften Temperaturen und weichem Eis zweimal auf dem elften Platz landete, wusste Stirnemann ihre Leistung gut einzuordnen: „Mir war klar, dass ich nicht wie in Helsinki mit in der Spitze landen werde. Aber ich habe gesehen, was ich in den nächsten Jahren erreichen kann.“

Dabei hilft ihre Mutter mit – als Trainerin. Dass sie stets darauf angesprochen wird, damit hat Victoria Stirnemann kein Problem. Sie fühlt sich keineswegs unter Druck gesetzt. Im Gegenteil. „Von ihr kann ich sehr viel lernen, denn sie weiß ja, wie man die internationale Spitze erreichen kann“, sagt die 16-Jährige, die sozusagen die erste Familien-Bestzeit erobert hat. Mit 1:19,36 Minuten über die 1000 Meter ist die Tochter schneller, als die erfolgreiche Mutter es einst jemals war.

Im vergangenen Sommer startete für sie ein neuer Lebensabschnitt, als der Dienst bei der Bundespolizei begann. Richtig ernst aber wurde es nun vor zwei Wochen, als in Bad Endorf der erste, vier Monate dauernde Ausbildungsblock begann und seitdem um sechs Uhr der Wecker klingelt. „Ich bin dankbar, dass mir dieser Weg möglich ist. Ich kann mich auf den Sport konzentrieren, bin dennoch abgesichert“, sagt Stirnemann.

Schritt für Schritt will sie nun in neue Dimensionen vorstoßen. Der Junioren-Weltcup ist im kommenden Winter ebenso ein Ziel wie die Teilnahme an den Olympischen Jugendspielen im Januar 2020 in St. Moritz. Victoria Stirnemann hat einen klares Ziel. „Um besser zu werden, muss ich im Training noch mehr machen. Aber es ist genau das, was ich will.“