Axel Lukacsek über die deutschen Eisschnellläufer, die sportlich und finanziell ums Überleben kämpfen.

Im Foyer der Eisschnelllauf-Halle von Salt Lake City hängt eine große, rot-braune Tafel. Sie kündet von sämtlichen Weltrekorden und ihren Inhabern gut sichtbar für alle Besucher der Arena. Einst war die „Wall of Fame“ auch so etwas wie ein Nachweis für die deutsche Eisschnelllauf-Dominanz. Bei den Olympischen Winterspielen im Februar 2002 lief die Erfurterin Sabine Völker im Windschatten der Weltrekordfrau Anni Friesinger zu Silber. Und Claudia Pechstein setzte damals auf den langen Strecken zwei weitere, bis dahin nie erreichte Bestmarken. Dass bei Siegerehrungen die deutsche Fahne hochgezogen wird, schien zu jener Zeit wie ein selbstverständlicher Automatismus. Aber das ist lange her.

Nun, 18 Jahre später, sind die Kufenflitzer aus Deutschland bis auf wenige Ausnahmen in die Bedeutungslosigkeit abgestürzt. Es ist ein schleichender Prozess, der die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) inzwischen sogar an den Rand des Abgrundes geführt hat. Dass es bei den Winterspielen 2014 in Sotschi erstmals seit Langem keine olympische Eisschnelllauf-Medaille für Deutschland gab, war das erste sichtbare Zeichen für den Niedergang, den niemand zu stoppen vermochte.

Es gab auch danach noch vereinzelt internationale Medaillen. Doch wie sie zustande kamen, sagt vieles über die Arbeit in der DESG. Bei den Weltmeisterschaften 2017 auf der koreanischen Olympiabahn in Gangneung eroberten Claudia Pechstein, Nico Ihle (beide Silber) und der Erfurter Bronzemedaillen-Gewinner Patrick Beckert zwar drei Podestplätze. Aber es waren eben auch Sportler, die lieber abseits des Verbandes ihr eigenes Training absolvierten.

Längst war man in einen Teufelskreis geschlittert. Denn ohne nachhaltigen sportlichen Erfolg ist es ungemein schwierig, nach dem Rückzug des Hauptsponsors (DKB) nun neue Geldgeber zu finden. Sogar eine drohende Insolvenz machte schon die Runde. Gerade ist eine Wirtschaftsprüfung dabei, die finanzielle Lage zu sondieren. Zuletzt hieß es, die Lücke würde demnächst 400.000 Euro betragen. Nun soll das Geld bis zum Herbst reichen. Immerhin.

All jene Entwicklungen sind besonders bitter, weil es durchaus hoffnungsvolle Talente gibt, die irgendwann einmal den Durchbruch schaffen könnten. Wenn in der kommenden Woche die Junioren-Weltmeisterschaften im polnischen Tomaszow Mazowiecki ausgetragen werden, sind fünf Eisschnellläufer aus Erfurt dabei. Sie stellen damit mehr als die Hälfte der Nationalmannschaft.

Hinter den Kulissen allerdings tobt ein Eis-Krieg, bei dem im November die Präsidentin Stefanie Teeuwen entnervt das Handtuch warf und inzwischen Schatzmeister Dieter Wallisch sowie Vize Uwe Rietzke die einzig verbliebenen Präsidiumsmitglieder sind. Der Verband wirkt wie erstarrt – und gibt auch noch ein trostloses Bild ab. Als sich Bundestrainer Erik Bouwman am Rande der deutschen Meisterschaften in Inzell im Chiemgauer Hof ausgerechnet mit dem unter Blutdoping-Verdacht stehenden Robert Lehmann-Dolle zu einem Glas Wein zusammensaß, sah sich sogar Alfons Hörmann als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes zu einem Machtwort gezwungen. Dabei wäre es die Aufgabe des Verbandes gewesen, energisch einzuschreiten und null Toleranz beim Thema Doping zu demonstrieren.

Ins Bild passt auch, dass sich Bouwman und Pechstein fetzten. Als der Bundestrainer ihr beschied, lieber ohne sie arbeiten zu wollen, suchte sich die Berlinerin die polnische Auswahl als neue Trainings-Heimat. Ihr Freund Matthias Große kritisierte derweil den Verband scharf – und wurde von ihm aus der Mannschaft geworfen. Man darf es also als ziemlich interessante Konstellation bezeichnen, dass nun ausgerechnet Große zu den heißen Kandidaten auf die DESG-Präsidentschaft zählt.

Die Zukunft einer ganzen Sportart mitsamt seiner Talente steht auf dem Spiel. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung – wahrscheinlich schon in fünf Wochen – soll das Machtvakuum an der Verbandsspitze beenden. Entscheidend wird vor allem sein, endlich wieder miteinander zu reden. Gemeinsam, auf Augenhöhe.