Dirk Pille über enttäuschende Rot-Weiße, verlorene 100 DDR-Mark und sein gestörtes Verhältnis zu Sportwetten.

Wir wollten den großen Coup landen. Mein Nachbar Tasso und ich. Wir spielten fast jeden Nachmittag auf einer Wiese in Sondershausen und redeten viel über Fußball. Meist über die DDR-Oberliga. Das schien uns eine gute Grundlage, um beim Toto mal richtig abzuräumen. Im November 1981 entschlossen wir uns, die für uns astronomische Summe von 100 DDR-Mark zu investieren. 100 Tipps wurden von uns tagelang nahezu wissenschaftlich berechnet. 13 Richtige mit Zusatzzahl wären der Knüller gewesen. Ab zehn Richtigen gab es zumindest ein paar Mark zurück. Da konnte nichts schiefgehen. Eigentlich.

10. Spieltag – es war ein sportlich durchaus anspruchsvolles Wochenende. BFC gegen Jena – alles möglich, am Ende 3:1. Ebenso Lok Leipzig gegen Dynamo Dresden 1:2. Oder Halle gegen Magdeburg – das Derby – es endete 2:2. Wir ließen alle Ausgänge geschickt kombinierend offen. Doch dann machten wir den Kardinalfehler. Wir setzten auf unsere Lieblingself – Rot-Weiß Erfurt. Nicht, dass unser Vertrauen in Heun und Co. anderthalb Jahre nach dem knapp verlorenen Pokalfinale gegen den FC Carl Zeiss grenzenlos gewesen wäre. Aber bei dem Spiel schon. RWE gegen die BSG Chemie Buna Schkopau. Der Aufsteiger, chancenlos. Alles auf Heimsieg. Erfurt hatte schließlich gerade erst im Thüringenderby in Jena 2:2 gespielt, Schkopau in zehn Spielen nur drei Punkte geholt. Alles lief zunächst nach Plan. Armin Rom­stedt brachte Rot-Weiß in der ersten Hälfte in Führung. Doch kurz nach dem Wechsel glich Roland Nowotny aus und von Erfurt kam nichts mehr. Unsere bombensichere „1“, was Heimsieg auf dem Tippschein bedeutete, war geplatzt. Am Sonntag wussten wir, wir hatten nichts, aber auch gar nichts gewonnen. Neun Tipps mit neun Richtigen. Mit einem erwarteten Erfurter Heimsieg hätten wir wenigstens unseren Einsatz raus gehabt.

Seit diesem frühen Jugendtrauma habe ich ein nachhaltig gestörtes Verhältnis zu Sportwetten. Richtig Geld habe ich nie wieder investiert. In der Sportredaktion brauchten die Kollegen immer lange, um mich zum Tippen bei einer WM zu überzeugen. 2006 lief es zwar ganz gut und ich lag vorm Finale Italien gegen Frankreich unter den Top vier. Doch vom Spielrausch war ich definitiv schon 1981 geheilt. Selbst als meine Frau und meine Schwiegermutter nach einem Champagner-Gläschen für VIP-Gäste durch die Casinos der Normandie zogen und einen Zwanziger verjubelten, stromerte ich nur durch die Gänge mit einarmigen Banditen und schaute den drehenden Rollen zu. Den beim deutschen Sportjournalisten-Sportfest 1994 in der Tombola gewonnenen WM-Ball mit den Unterschriften von Berti Vogts und seinen Verlierern aus den USA habe ich gleich verschenkt. Es dauerte ein bisschen, bevor ich ihn los wurde.

Später tauchte ich dann doch noch einmal in die Untiefen des Wettgeschäfts ein. 2004 – ein Jahr vor dem Hoyzer-Skandal. Sie erinnern sich an den Berliner Schiedsrichter der für einen riesigen Fernseher und mehr etliche Spiele verschob. Bei der Bob-WM wollten wir am Abend die Bayern in der Champions League schauen. Wir fuhren in die zwanzig Kilometer entfernte Wettspielhauptstadt Salzburg und suchten das verrauchte Lokal eines Anbieters auf. Wir blickten tief in die „Wett-Hölle“, wo die Sprache des Balkans herrschte. Neben Premiere Live und einem Freibier machte ich erstaunliche Erfahrungen, als zehn Minuten vor Schluss dubiose Gestalten Bündel mit Geldscheinen auf Tore kurz vor Ultimo setzten. Ob mit Erfolg, erfuhr ich nie, aber so ganz koscher war mir der Laden nicht. Als dann tags darauf Bob-Weltmeister Christoph Langen bei der Siegerehrung unerlaubt eine Blondine mit Sportwetten-Werbung auf dem Arm hielt, wusste ich, in Salzburg wird großes Geld gemacht.

Seitdem träume ich immer mal vom großen Reibach. Vielleicht zur Trauma-Bewältigung. Schließlich gibt es mein Duell in der inzwischen fünftklassigen Oberliga wieder. Vielleicht sollte ich knallhart gegen Rot-Weiß auf drei Tore des 1. FC Merseburg (früher Buna Schkopau) in der Nachspielzeit tippen – wenn das Spiel in dieser Corona-Saison stattfinden kann.