Eisenach. Eisenachs Handballer wahren an einem denkwürdigen Abend ihre Aufstiegschance. Ein Wahnsinns-Spiel zwischen Hangstein-Show, Pech, Protest und purem Willen. Der Showdown kommt noch.

Die Schlange hörte nicht auf. Ein Foto, noch ein Selfie, Unterschrift auf Unterschrift. Fynn Hangstein hatte nach dem weiteren Meisterstück der Eisenacher zu tun, dass das bandagierte Handgelenk mehr hätte schmerzen können als Schultern, Arme und Nacken zusammen nach dem harten Kampf zuvor. Pech für einen, der einen langen Nachnamen trägt. Glück für einen wie den ThSV Eisenach, so einen Spieler in seinem Team zu haben – und überhaupt so eine Mannschaft.

Als hätte es an dem im Gedächtnis bleibenden Samstag eines symbolhaften ThSV-Schlusspunktes bedurft, so kam selbst der noch: Vier gegen fünf, eine Minute noch, Stanislaw Gorobtschuk rettete glänzend in höchster Not das 23:21; leeres Eisenacher Tor, fünf gegen fünf, offene Abwehr von Potsdam. Lange schon standen alle im Tollhaus Aßmann-Halle, ehe Fynn Hangstein durch die Lücke jagte, kopfüber dem Publikum entgegen segelte, um nach dem entscheidenden 24:21 aufzuspringen und mit breiter Brust die gesamte Stärke zu demonstrieren. Sein zwölftes Tor, das 256. der Saison für den erneut besten Schützen der Liga. Was für ein Ende, was für ein Spiel, was für ein ThSV, der im Zweikampf mit dem punktgleichen Verfolger Dessau den Aufstieg weiter in den eigenen Händen hält.

„Ich weiß nicht, wie oft wir heute wiederaufstehen mussten. So viele Nackenschläge mussten wir in keinem anderen Spiel einstecken“, sagte der 23-Jährige nach dem 24:22 (13:12)-Sieg im letzten Heimspiel gegen verbissen kämpfende Potsdamer.

Herber Rückschlag: Jannis Schneibel hält sich die verletzte Schulter. Die Diagnose steht noch aus.
Herber Rückschlag: Jannis Schneibel hält sich die verletzte Schulter. Die Diagnose steht noch aus. © Sascha Fromm

Die 60 Minuten vor der Rekordkulisse der letzten Jahre boten ein wildes Spiel, Stoff für ein Drama – für einen Thriller dazu. Und sie boten zur Freude der 3150 (!) Zuschauer nach unglaublich viel Pech ein Happy End. Das riss Trainer Misha Kaufmann mit. „Das ist die geilste Halle“, rief er dem tobenden Publikum zu. Überwältigt hatte ihn die Atmosphäre und erst recht die Leistung seiner Mannschaft. „Alles, was uns zurückwarf, hat uns nach vorn gebracht“, schwärmte er.

Nach Coburg mit Riesenkarawaneund einer gewaltigen Hypothek

Im Innern begann es derweil zu brodeln. Das Ganze fühlte sich für ihn nach all dem Schulterklopfen auch schwer an. Sein Blick ging Richtung Coburg. Beim Elften kommt es am Mittwoch (19 Uhr) zum Showdown. Sein ThSV-Team hat nun alle Chancen auf die Rückkehr ins Oberhaus. Begleitet von ei­ner Riesenkarawane aber reist es mit einer gewaltigen Hypothek an.

So fantastisch der Sieg war, so tragisch endete er. Nachdem sich Jannis Schneibel kurz vor der Pause schwer an der Schulter verletzt hatte (ein MRT soll am Montag Aufschluss geben), sah Kapitän Peter Walz die Rote und Blaue Karte, die eine Sperre nach sich zieht. „Wir verlieren unseren Kopf und unser Mentalitätsmonster“, beklagte der Cheftrainer zwei noch mal schwerwiegende Ausfälle.

„Die Schiedsrichter haben keinen guten Job gemacht“, fand Misha Kaufmann. Neben strittigen Entscheidungen ärgerte ihn besonders die Herunterstellung für seinen Kapitän (59.). Zuvor hatte bereits Ivan Snajder Rot gesehen (56.), ehe Peter Walz und Marcel Nowak zusammengerauscht waren. Der Potsdamer schlug mit dem Hinterkopf auf und verlor kurz das Bewusstsein.

Seine erste Blaue Karte der Karriere sah der ThSV-Kapitän als überzogen an. „Wir treffen mit den Köpfen zusammen“, schilderte der Eisenacher Kreisspieler die Szene. Er sah sich keiner Schuld bewusst.

Eine Tätlichkeit ist nicht zu sehen, kein Vorsatz erkennbar, bestenfalls ein unglückliches Foul. „Wir prüfen alle Möglichkeiten“, so ThSV-Manager René Witte am Sonntag. Er zog einen Protest in Erwägung. Aber es ist auch eine Tatsachen-Entscheidung, die sehr wenig Spielraum der Korrektur zulässt.

Abschied: Fynn Hangstein verlässt den ThSV zum Saisonende. Die Torjägerkrone der zweiten Liga ist ihm im zweiten Jahr in Folge nicht zu nehmen. 256 Treffer hat er bislang für Eisenach in dieser Spielzeit erzielt. Und er wünscht sich zum Abschluss den Aufstieg.
Abschied: Fynn Hangstein verlässt den ThSV zum Saisonende. Die Torjägerkrone der zweiten Liga ist ihm im zweiten Jahr in Folge nicht zu nehmen. 256 Treffer hat er bislang für Eisenach in dieser Spielzeit erzielt. Und er wünscht sich zum Abschluss den Aufstieg. © Sascha Fromm

Umso mehr wünscht sich Trainer Kaufmann im Fernduell mit dem punktgleichen Dritten Dessau am Mittwoch ein „Jetzt-erst-recht“. Eines, das seine Mannschaft bereits am Samstag wider alle Rückschläge gezeigt hatte – und zeigen muss.

Brustmann springt nach Blitzzusage in die Bresche

Viel Pech kam vorm Heimspiel-Finale zusammen. Früh in der Saison hatte sich Erik Töpfer verletzt und muss seine Karriere beenden. Nun war auch noch Stammkeeper Nummer zwei, Johannes Jepsen, wegen einer Meniskus-Verletzung ausgefallen. Max Brustmann, Legende der Rimpar-Wölfe, sprang mit 40 nach Blitzzusage ein. Er kam direkt aus dem Urlaub in Österreich und hielt nach nur einem Training.

Torwart eins verletzt, Nr. zwei verletzt, der Regisseur verletzt, am Ende zwei Leute weniger: Umso mehr ließen die Eisenacher ihr Herz auf der Platte. Angeführt von Scharfschütze Fynn Hangstein warfen sie alles in die Partie, was sie hineinzuwerfen hatten. Dank schneller Tore und zweier gehaltener Siebenmeter von Stanislaw Gorobtschuk setzten sich die Hausherren in einem verbissenen Kampf nach der Pause auf fünf Tore ab (40.). Knapp zwölf Minuten ließen sie keinen Gegentreffer zu – und blieben im hitzigen Finish trotz zweimaligen Ausgleichs (19:19/50.; 21:21/56.) mit unbändigem Willen obenauf.

„Ich bin so stolz auf die Mannschaft“, fand Fynn Hangstein. Er zeigte einmal mehr, warum er in dieser Saison wieder an der Spitze der Zweitliga-Torjäger steht. Treffer Nummer 256 wird indes der letzte für Eisenach in der Aßmann-Halle gewesen sein. Neben weiteren neun Spielern wurde die Nummer zehn mit Präsenten und Riesenbeifall verabschiedet. Trauer überkam Fynn Hangstein am Samstag nicht. „Die Saison ist noch nicht vorbei“, erklärte der zu Nettelstedt wechselnde Rückraumspieler. Er fiebert dem Showdown in Coburg entgegen.

„Wir werden auch das schaffen“, kündigte Trainer Misha Kaufmann an“, wir werden alles reinwerfen“.

Es klang wie ein Versprechen.