Jena. Johannes Petersen aus Jena ist seit frühester Kindheit halbseitig gelähmt. Er entdeckte Tischtennis als Herausforderung.

Noch einmal nimmt Johannes Petersen den Schläger in die linke Hand. Beim Sponeta-Cup, einem der größten Tischtennis-Einladungsturniere des Freistaates, geht der 19-Jährige am Wochenende an den Start. Es ist das letzte Ereignis vor der Sommerpause; und obwohl es in der Halle sehr heiß werden dürfte, bremst ihn das keineswegs.

Johannes ist Tischtennisspieler durch und durch – und doch anders als viele seiner Mitstreiter und Gegner am Tisch. Bereits sein Gang an die Platte verrät, dass der Jenenser mit einer körperlichen Behinderung zu kämpfen hat. Der rechte Arm wirkt ungewöhnlich angewinkelt, das rechte Bein wird etwas nachgezogen.

Die äußerlich erkenntlichen Beeinträchtigungen sind Zeugen vieler Schicksalsschläge, die Johannes als kleines Kind erlitt. „Ich bin als Frühchen, aber gesund, auf die Welt gekommen. Nach einem Vierteljahr haben meine Eltern beim Spielen gemerkt, dass ich nur mit links greife. Das hat sie misstrauisch gemacht“, sagt Johannes in ruhigem Ton, während Vater Torsten gegenüber sitzt.

Abwechselnd erzählen sie die Geschichte weiter. Der Schock, als sie vom Arzt erfahren, dass Johannes irgendwann im ersten halben Jahr einen Schlaganfall erlitten haben muss. Zu dieser Diagnose kommen die Mediziner, als sie unter die Schädeldecke schauen und erkennen, dass im linken Gehirn eine Ader geplatzt ist. Die niederschmetternde Erkenntnis: Johannes ist dadurch einseitig auf der ganzen rechten Seite gelähmt und wird es immer bleiben.

Bis heute 15 größere Operationen

Verblüffend ist, dass beide beim Erzählen nicht in eine Mitleidsrolle verfallen. Vielmehr hört man schnell die kämpferische Einstellung von Sohn und Vater heraus. Es ist diese Kraft, die Johannes und seine Familie auch in den Folgejahren immer wieder ermutigt, nicht aufzugeben. Obwohl die Torturen kein Ende zu scheinen haben, stehen sie gemeinsam alles durch.

Johannes‘ nach außen gerichteter Fuß muss bewusst gebrochen werden, damit er sich später normal fortbewegen kann und die Körperhaltung nicht zu sehr geschädigt wird. Da ist er fünf und muss in der Folge das Laufen neu erlernen. Ab dem fünften Lebensjahr befindet er sich außerdem fast pausenlos in Therapien und Kuren; bis zum heutigen Tag lässt er 15 größere Operationen über sich ergehen.

Johannes erträgt die Schmerzen größtenteils mit einer fast schon stoischen Ruhe. Fast scheint er sich im Rückblick auf das Erlebte im Kinderalter unschlüssig, ob die Schmerzen der seelischen Natur nicht sogar größer waren als die körperlichen. Denn durch die vielen Reha-Kuren in der Klinik Bavaria in Kreischa-Zscheckwitz (Sachsen) entfremdet er sich zusehends von seinen Freunden. „Ich hatte kaum außerschulische Kontakte“, wirft er ein.

Klinik-Tischtennisplatten nehmen Langeweile

Doch eines hat er in Kreischa zur Genüge: Zeit. Aber was will er mit ihr anfangen? Da kommt ihm und Vater Torsten eine Idee. Auf den Fluren stehen Tischtennisplatten, die kaum genutzt werden. Schnell sind ein paar Schläger besorgt und von nun an klickt es fortan – und aus einer zufälligen Idee wird eine Leidenschaft. Was als Zufallsprodukt beginnt, wird schnell ein fester, täglicher Bestandteil. Egal, ob früh oder spät – immer haben die beiden ihre Schläger zur Hand und spielen Ping-Pong.

Ob sie sich ein wenig wie Forrest Gump vorkommen, der im gleichnamigen Film bei der Armee seine Liebe zum kleinen, weißen Ball findet? Beide schmunzeln. „Das kann schon sein“, sagen sie unisono.

Zurück von den Kuren, steht fest: Johannes muss unter Leute, soll in einem Verein regelmäßig Sport treiben. Aber außer Tischtennis gibt es keine andere Wahl, Fußball (seine Leidenschaft) fällt aus. Also wird ein Verein gesucht, der mit Kindern trainiert und die Wahl fällt auf den SV Schott Jena.

Mit zehn Jahren meldet er sich an, will dort trainieren. Fortan fährt sein Vater einmal die Woche von Zwätzen ans andere Ende der Stadt. Doch seine ungewöhnliche Geschichte macht die Sache kompliziert. Beim Verein weiß man nicht so richtig, wie man mit der Behinderung umgehen soll. „Das war zu Beginn sehr schwierig, es herrschte eine Art Scheu voreinander“, sagt Johannes.

Der Einzige mit Behinderung

Was fehlt, ist ein individueller Trainer. 2014 wechselt er zum USV. Auch hier ist er zunächst der Einzige mit einer Behinderung. Über das Sozialpädiatrische Zentrum Jena erfährt die Familie vom Thüringer Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Erfurt und nimmt Ende 2016 Kontakt auf. Nun kommt etwas ins Rollen: Schon im März 2017 soll Johannes zu den deutschen Jugendmeisterschaften im Para-TT fahren.

Das Training wird von nun an intensiviert und in Natalie Löber findet er auch eine Trainerin, der er voll vertraut. Sie gibt ihm Einzeltraining, mehrfach die Woche, denn Johannes ist „heiß“ auf seinen Sport und ehrgeizig – trotz Orthesen, die er tragen muss. Aber auch der TBRSV unterstützt Johannes. Einmal pro Woche geht es nach Erfurt zum TTZ Sponeta – dort steht Vladimir Lerman bereit, ihn zu trainieren.

Ab 2016 wird es auch beim USV Jena ernst. Nun nimmt der junge Jenenser aktiv am Ligabetrieb teil und spielt fortan in der Kreisliga. So ungewöhnlich das Abenteuer für ihn ist, ist es dies auch für seine Gegner. Denn sich mit behinderten Kontrahenten im Ligabetrieb zu duellieren, ist in Thüringen fast ausgeschlossen. Zudem fühlt sich so mancher Gegner etwas unwohl am Tisch.

Soll er die offensichtlichen Nachteile seines Gegenübers ausnutzen? Immerhin kann sich Johannes nicht so schnell bewegen; allein sein Aufschlag ist „eine Wissenschaft für sich“. Oder blüht nicht insgeheim eine Blamage, wenn man aus Mitleid nicht durchspielt und womöglich verliert?

Es ist wieder dieses Wort – Mitleid – welches Johannes nicht haben möchte. Nein, Siege sollen ihm nicht geschenkt werden. Sie will er sich erarbeiten – mit Cleverness und spielerischem Niveau. Und dennoch blickt der 19-Jährige, der nach dem Fachabitur in Sachsen eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten anpeilt, mit Vater Torsten über den Tellerrand. Schon seit einiger Zeit engagieren sie sich im TBRSV und wollen helfen, das Para-Tischtennis voranzubringen.

Para-Tischtennis weiter entwickeln

Unter anderem halfen sie mit, in diesem Jahr die 1. Thüringer Handicap Open in Erfurt zu veranstalten. Das Turnier wurde ein Erfolg, denn nicht nur war die Qualität der Spiele ansprechend. „Zum ersten Mal meldeten sich mehrere Erwachsene, die mit Behinderungen in ihren Vereinen spielen“, sagt Vater Torsten. Spieler, die in keiner Statistik vermerkt sind, aber allesamt ein Interesse haben, ihre Disziplin zu stärken.

Es ist diese Form der Bindung von Menschen, die die Petersens in Zukunft ausbauen wollen. Längst ist nicht nur ein zweites Turnier der Thüringer Handicap Open geplant. Johannes möchte nach seiner Ausbildung wieder nach Thüringen kommen und am liebsten mit einer Anstellung beim TBRSV seine Sparte „professionalisieren“. „Mein Ziel ist es, das Para-Tischtennis weiter zu entwickeln. Ich sehe mich als Vorreiter und möchte irgendwann einen funktionierenden Para-TT-Sport hinterlassen“, blickt er in die Zukunft.