Das seit 2015 geltende Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist null und nichtig. Aus Thüringen gibt es dazu nachdenkliche Reaktionen.

Für Menschen in Not und Verzweiflung darf der Suizid nicht der einzige Ausweg sein. Das sagt Ilka Jope, Geschäftsführerin des Thüringer Hospiz- und Palliativverbandes (THPV) nach dem Urteil gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe. Laut Bundesverfassungsgericht verstößt der seit 2015 geltende Strafrechtsparagraf 217 gegen das Grundgesetz. Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen, auch unabhängig davon, ob und wie krank man ist, so die Richter.

"Für mich als bekennenden Christen ist mit diesem Urteil ein ganz großes Störgefühl verbunden", sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Dirk Adams in Erfurt. Er halte die Entscheidung für moralisch falsch. Der Bundesgesetzgeber sei nun gefordert, Regelungen zu treffen, die verhinderten, dass mit der Sterbehilfe Geld verdient werde. "Eine Geschäftsmäßigkeit im Sinne von Kommerz mit dem Tod darf es nicht geben", sagte Adams.

Die Partei- und Fraktionsvorsitzende der Thüringer Linken, Susanne Hennig-Wellsow, begrüßte das Urteil dagegen. "Auf dieses Urteil haben schwerstkranke Menschen lange gewartet", sagte sie. Endlich werde das Recht von Patienten auf selbstbestimmtes Sterben in ausweglosen Situationen gestärkt. "Zudem schafft das Urteil mehr Sicherheit für Ärztinnen und Ärzte im Bereich der Sterbehilfe", so Hennig-Wellsow.

Ähnlich äußerte sich auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey. "Das ist eine gute, absolut nachvollziehbare, richtige Entscheidung", sagte er. Wie Adams sieht auch Hey nun den Bundestag gefordert, rechtliche Schranken aufzustellen, die einerseits verhindern, dass mit dem Tod Geld verdient wird, die es aber Schwerstkranken erlauben, aus dem Leben zu scheiden, wenn sie das möchten.

Man nehme die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache "zur Kenntnis", sagte ein Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. "Der Gesetzgeber ist nun aufgefordert, das Spannungsfeld zwischen dem Schutz des Lebens und der individuellen Selbstbestimmung neu zu bewerten." Eine verbesserte palliativmedizinische Betreuung und verpflichtende Aufklärungs-, Beratungs- und Betreuungsangebote für Betroffene müssten genauso Teil dieser Neubewertung sein wie der bisherige Ansatz, die Selbsttötung nicht zu kommerzialisieren. Bei Schwerstkranken dürfe auf keinen Fall der Eindruck erweckt werden, von ihnen werde gesellschaftlich erwartet, sich selbst zu töten.

Palliativverband will bei Freitodwunsch niemanden allein lassen

Der Wunsch eines Menschen zu sterben, müsse immer differenziert und aus dem Blickwinkel der Betroffenen betrachtet werden, sagt Jope. Das Recht auf das selbstbestimmte Sterben sei das Eine, die Hilfe von Dritten, die man dabei in Anspruch nehmen möchte oder sogar benötigt, das Andere. Darüber müsse man diskutieren. Einem Menschen beim Sterben zu helfen, setze die Bereitschaft und freie Entscheidung eines Arztes voraus, eine rechtliche Verpflichtung für Mediziner dürfe es nicht geben, so Jope. „Hospizarbeit ist die Alternative für den hilflosen Wunsch nach dem Freitod. Wer aus einer Notsituation heraus glaubt, nicht mehr weiter zu können, soll damit nicht allein oder sich selbst überlassen sein“, so Ilka Jope.

Evangelische Kirche: Todkranke könnten sich gedrängt fühlen

Laut Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, verdient das Leben den höchstmöglichen Schutz. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes befürchte er eine Verschiebung des christlichen Wertesystem. „Das Urteil öffnet die Tür dafür, dass die Selbsttötung als normale Option für schwerkranke Menschen angesehen wird. Das kann zur Folge haben, dass sich todkranke Menschen zu dieser Möglichkeit gedrängt fühlen. Ich hätte erwartet, dass die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung weiter verboten bleibt“, sagte Kramer. Um todkranke Menschen in ihrem Sterbeprozess zu begleiten, sei vielmehr der weitere Ausbau der hospizlichen und palliativen Bereiche notwendig.

Sterbehilfe ist nicht Aufgabe eines Arztes

Auf die Tragweite der Entscheidung verweist auch eine gemeinsame Erklärung der Bundes- mit allen Landesärztekammern, der sich die Thüringer LÄK mit ihrer Präsidentin und BÄK-Vizepräsidentin Ellen Lundershausen am Nachmittag vollumfänglich anschloss. Den weiten Raum für das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens verstehe man auch als Auftrag an den Gesetzgeber, diese Möglichkeiten auszuloten und rechtssicher auszugestalten.

„Die Gesellschaft als Ganzes muss Mittel und Wege finden, die verhindern, dass die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung des Suizids führt“, so die Kammern. Man begrüße, dass auch zukünftig keine Ärztin und kein Arzt zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden kann. „Die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist es, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen. Die Beihilfe zum Suizid gehört unverändert grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.“