Berlin. Das AKW Saporischschja in der Urkaine ist vom externen Strom abgeschnitten. Die Gefahr eines Störfalls steigt – doch was bedeutet das?

Der Ukraine-Krieg wird zunehmend zur Gefahr für die Sicherheit der Atomkraftwerke. Nach einem Beschuss einer Hochspannungsleitung war das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja am Montag für mehrere Stunden komplett von der wichtigen externen Stromversorgung abgeschnitten. Es war bereits die 7. Stromunterbrechung seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine.

„Die nukleare Sicherheitslage im Kraftwerk ist extrem gefährdet“, warnte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, auf Twitter. Die IAEA fürchtet, dass ein Ausfall der Kühlsystem zu einer Überhitzung der Brennstäbe und damit zu einem nuklearen Unfall führen könnte. Die wichtige Kühlung des Atomkraftwerks erfolge aktuell durch Dieselgeneratoren, so der ukrainische Atomkonzern Energoatom. Für diese Generatoren sei für zehn Tage Treibstoff vorhanden.

Am Nachmittag meldete der ukrainische Stromnetzbetreiber Ukrenerho per Telegram, dass das Atomkraftwerk wieder ans Netz angeschlossen werden konnte.

Das Atomkraftwerk Saporischschja gerät im Ukraine-Krieg immer wieder in kriegerische Handlungen.
Das Atomkraftwerk Saporischschja gerät im Ukraine-Krieg immer wieder in kriegerische Handlungen. © dpa | Uncredited

Saporischschja ist mit seinen sechs Meilern das größte Atomkraftwerk in Europa – und ist mittlerweile von Russen besetzt. Wegen immer neuer Kämpfe in der Region durch Russland ist das Atomkraftwerk Saporischschja am 11. September 2022 abgeschaltet worden. Im regulären Betrieb hatte das AKW fünf externe Stromleitungen.

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Dennoch ist auch ein abgeschaltetes Atomkraftwerk – ein so genanntes „kaltes Atomkraftwerk“ – auf eine regelmäßige Stromversorgung angewiesen. Was der Stromausfall auch für Deutschland bedeutet, erläutert der Leiter des radiologischen Notfallschutzes im Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Florian Gering, dieser Redaktion.

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Wie wichtig ist die Stromversorgung in dem Atomkraftwerk?

Auch ein „kaltes Atomkraftwerk“ braucht externen Strom, um die Brennelemente zu kühlen. Viele längerlebigen Spaltprodukte in den Reaktoren zerfallen und erzeugen dabei erhebliche Wärme. Diese geht mit jedem Tag zurück, doch auch in den Folgejahren wird noch Elektrizität gebraucht, um die Reaktoren zu kühlen. Ohne Kühlung würden sich auch in einem abgeschalteten AKW die Brennelemente derart erhitzen können, dass dies zu einer Kernschmelze führen könnte. Dies würde jedoch einige Tage oder Wochen dauern und nicht wie bei einem laufenden AKW innerhalb von ein bis zwei Stunden passieren.

Ist das AKW trotz Abschaltung gefährlich?

Die Radioaktivität in den Blöcken ist seit dem Abschalten stark zurückgegangen. Alle kurzlebigen Spaltprodukte, die im Betrieb entstehen, sind im Zerfall. Das radioaktive Jod, das bei AKW-Unfällen einen der kritischsten Stoffe darstellt, ist so stark zurückgegangen, dass es keine nennenswerte Rolle mehr spielt. Die Risiken sind durch das Abschalten geringer geworden. Die Situation ist dadurch zwar nicht unbedenklich, aber nicht mehr ganz so bedrohlich wie im vergangenen Herbst.

Blick von oben auf das Atomkraftwerk Saporischschja.
Blick von oben auf das Atomkraftwerk Saporischschja. © dpa | Planet Labs Pbc

Wie wäre die Ukraine durch einen AKW-Notfall betroffen?

Wenn es in einem der vier AKW zu einem unbeherrschbaren Notfall wie in Fukushima kommen würde, erwarten Atomexperten in einem Nahbereich bis 20 Kilometer die größten Strahlenbelastungen. Hier besteht die größte Gefahr, an Krebs zu erkranken. Die Betroffenen müssen mit einer Evakuierung rechnen.

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In 100 bis 200 Kilometern Entfernung ist die Bevölkerung auch noch erheblichen Strahlungen ausgesetzt. Hier sollten sich die Menschen zum eigenen Schutz in Häusern oder im Keller aufhalten – insbesondere Kinder, Jugendliche und Schwangere sollten Jodtabletten erhalten. Da das AKW Saporischschja bereits seit Längerem abgeschaltet ist, wäre dort bei einer Havarie mit einer vernachlässigbaren Jodbelastung zu rechnen.

Was bedeutet eine Havarie für die Nachbarstaaten und Deutschland?

In größeren Entfernungen hängt die Strahlenbelastung stark vom Wetter und der Windrichtung ab. In mehreren 100 Kilometern Abstand kann in Ausnahmefällen bei Kindern, Jugendlichen und Schwangeren noch die Einnahme von Jodtabletten sinnvoll sein.

In großen Entfernungen wie in Deutschland, das mindestens 1500 Kilometer von Saporischschja entfernt ist, wären die Folgen beschränkt und würden sich wahrscheinlich auf Lebensmittel konzentrieren. Hier angebaute Lebensmittel müssten auf Radioaktivität kontrolliert werden. Kontaminierte Importe müssten verhindert werden. Jodtabletten wären nicht notwendig. Selbst das nächstgelegene AKW in der Ukraine, Riwne, liegt etwa 800 Kilometer von Deutschland entfernt.

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