Berlin. In der Debatte um den Klimawandel gerät das Fliegen immer mehr in Kritik. Doch Klaus-Dieter Scheurle, Präsident des Bundesverbands der Luftverkehrswirtschaft, verteidigt es vehement - warum, verrät er im Interview.

Zum Interview mit unserer Redaktion muss sich Klaus-Dieter Scheurle, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft und Chef der Deutschen Flugsicherung, beeilen. Sein Flug aus Brüssel ist verspätet. Kein seltener Fall dieser Tage. Nach dem Chaos-Sommer 2018 steht seine Branche im Fokus der Öffentlichkeit.

Herr Scheurle, wie lief der Start in die Sommerferien an den Flughäfen?

Klaus-Dieter Scheurle: Relativ zufriedenstellend. Wir haben eine viel bessere Situation als im vergangenen Jahr. Das haben wir schon zu Ostern und Pfingsten gesehen. Der Beginn der Sommerferien in Nordrhein-Westfalen am vergangenen Wochenende war für die Flughäfen der Lackmustest.

Steigen Sie momentan gerne ins Flugzeug?

Ja, das ist so. Wobei manche Schlange bei der Sicherheitskontrolle schon Nerven kostet. Aber hier versuchen ja die Flughäfen, durch die Bereitstellung zusätzlicher Flächen mehr Kontrolllinien anzubieten.

Das ist eine von 15 Maßnahmen, die die Luftfahrt-Branche nach dem Chaos-Sommer 2018 zugesagt hat, um die Lage schnell zu verbessern. Ist der Plan aufgegangen?

Die Maßnahmen greifen. Die Airlines haben die Flotte von Reserveflugzeugen verdoppelt und mehr Puffer in die Flugpläne eingebaut. Die Flughäfen haben ihre Personaldecke verstärkt, insgesamt 3000 neue Leute eingestellt. Die Flugsicherung baut operatives Personal auf und bringt auf europäischer Ebene Projekte zur Struktur des Luftraumes zur Umsetzung. Da wird überall investiert. Durch die Flugsicherung bedingte Verspätungen haben im Juni abgenommen gegenüber dem Vorjahr. Daher bin ich optimistisch, dass wir noch weitere Verbesserungen sehen werden.

Was erwarten Sie?

Wir müssen natürlich bei allen Punkten weiterarbeiten. Es gilt, die Infrastruktur am Boden und in der Luft fit zu machen für die starke Luftverkehrsnachfrage. Wichtig dabei ist, dass auch die Politik die von ihr zugesagten Maßnahmen voranbringt: bei der Verbesserung der Luftsicherheitskontrollen und auch bei der Regulierung des europäischen Flugsicherungsraums.

Immer mehr Unternehmen setzen bei Dienstreisen im Inland auf die Bahn. Sinken die Buchungszahlen?

Wir haben nach wie vor Wachstum bei den Passagierzahlen. Insofern könnte man sagen: Nein, wir spüren es nicht. In Deutschland wird die Zahl der Geschäftsreisenden zwar nicht mehr erheblich zunehmen, aber die weltweite Nachfrage nach Luftverkehr wächst weiter und das gilt für Geschäfts- wie Privatreisen. Deswegen nehmen wir den Klimaschutz weiterhin sehr ernst. Seit 2012 nehmen wir am europäischen Emissionshandel teil. Wir investieren in neue Flieger, die deutlich leiser sind und weniger Kerosin verbrauchen. Darüber hinaus können Passagiere die Klimawirkung ihres Fluges gegen einen Aufpreis voll kompensieren - dieses Angebot werden wir ausbauen. In einem nächsten Schritt müssen wir von der Kompensation des CO2-Ausstoßes hin zu weiteren Schritten der Vermeidung kommen. Möglich wäre das, wenn man fossiles Kerosin durch einen regenerativen Kraftstoff ersetzt.

Mit der deutschen Luftverkehrsteuer - 1,2 Milliarden Euro in diesem Jahr - ist Geld vorhanden, das der Staat sehr gut nutzen könnte für die Entwicklung und Produktion von klimafreundlichen Kraftstoffen. Die Branche ist bereit, sich da in Pilotprojekten zu engagieren. Aber wir erwarten eben auch, dass der Bund mit den Milliardeneinnahmen aus der Luftverkehrsteuer den Klimaschutz voranbringt.

Das Wort Flugscham hat auch in Deutschland Konjunktur - Lufthansa, Easyjet und Ryanair sagen, sie spürten davon gar nichts. Wie erklären Sie sich das?

Wenn man darüber nachdenkt, dass Klimaschutz für die Mehrheit der Bevölkerung ein wichtiges Anliegen ist, gleichzeitig aber nur ein verschwindend geringer Anteil unserer Passagiere bereit ist, gegen einen Aufpreis die Klimawirkung ihres Fluges zu kompensieren, dann kann man sich schon die Frage stellen, ob die Klimaschutz-Debatte bei allen auch hinsichtlich ihres persönlichen Verhaltens angekommen ist.

Was sagen Sie jenen, die CO2-Kompensation als modernen Ablasshandel kritisieren?

Der gesamte Luftverkehr ist mit einem Anteil von 2,8 Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen nicht der größte Verursacher. Dennoch nehmen wir die Sache ernst und haben schon viel gemacht. Mit der Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel seit 2012 und mit dem CO2-Kompensationssystem „Corsia“ ab nächstem Jahr ist der Luftverkehr als einziger Wirtschaftsbereich in ein weltweit geltendes System der CO2-Bepreisung einbezogen. Schon vor fünf Jahren haben wir darüber hinaus der Bundesregierung vorgeschlagen: Erlassen Sie uns die Luftverkehrsteuer und wir investieren die Summe in neue Flugzeuge. Das wäre eine Lösung, den CO2-Ausstoß zu verringern. Oder in den Aufbau von Produktionsanlagen für alternative Kraftstoffe zu investieren. Da gibt es viele Möglichkeiten, dieses Geld sinnvoll einzusetzen. Über alternative Kraftstoffe wird seit Jahren diskutiert - passiert ist aber noch nichts. Es hat bereits erste Testflüge gegeben. Zudem ist etwa das Power-to-Liquid-Verfahren - übrigens ein deutsches Patent aus den 1920er-Jahren - eine bekannte Technik. Erforderlich ist der Aufbau ausreichender Produktionsinfrastrukturen und eine Massenproduktion dieses Kraftstoffs zu wettbewerbsfähigen Preisen. Das wird eine industriepolitische Initiative mindestens der Europäischen Union erfordern. Ich hoffe, dass dazu die Bundesregierung auf der ersten Nationalen Luftfahrtkonferenz am 21. August etwas sagen und anstoßen wird.

Es fliegen auch immer mehr Menschen, weil sich die Airlines seit Jahren einen Preiskampf mit Flügen zum Spottpreis liefern. Wie lange hält die Branche das noch aus?

Die Preise bilden sich am Markt, und im Luftverkehr ist der äußerst wettbewerbsintensiv. Und da werden immer wieder Tickets angeboten, die weit weg sind von den realen Kosten. Das wird den Konsolidierungsprozess weiter beschleunigen, es gab ja schon die Insolvenzen von Germania und Air Berlin. Wenn man die Marktkonzentration in den USA und Europa vergleicht, gibt es hier noch Spielraum. Das müssen keine Pleiten sein - man kann auch miteinander fusionieren und Synergie­effekte finden.

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