Gera/Erfurt. Der Vorsitzende des Verbands der Thüringer Metall- und Elektro-Industrie fordert einen lösungsorientierten Krisen-Tarifabschluss.

Thomas Kaeser ist Vorstandsvorsitzender der Kaeser Kompressoren SE in Gera und Coburg und Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie in Thüringen. In den anstehenden Tarifverhandlungen mit der IG Metall tritt er als Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite auf. Im Interview illustriert er die Situation der Branche in Zeiten sich überlagernder Krisen und blickt auf schwierige Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft voraus.

Wie steht es aktuell um die Thüringer Metall- und Elektroindustrie?

Wir sind heute in einer ganz spezifischen Situation, die es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat. Im Jahr 2019 hatten wir es schon mit einer deutlich abgeschwächten Konjunktur zu tun. Das war noch keine Wirtschaftskrise, aber es zeigten sich dunkle Wolken am Horizont in Form von spürbaren Rückgängen im Auftragseingang und geringeren Auslastungen bei der Produktion. Dann kam noch einmal verstärkt der Strukturwandel hinzu. Mobilität, Energiewende, alles Dinge, die die Gesamtindustrie stark beeinflussen. Dritter und mächtigster Einflussfaktor war dann die Corona-Krise.

Wie wirkt sich das aus?

Das hatten wir in unserer Wirtschaftsgeschichte noch nicht, dass drei starke Einflussfaktoren zum gleichen Zeitpunkt gekommen sind. Wenn wir unterschiedliche Betriebe unserer Branche befragten, zeigte sich, dass wirklich alle Unternehmen Einschränkungen in der Produktion zu verzeichnen hatten. Es gibt natürlich Unterschiede. Wenige sind gering beeinflusst, andere sehr stark.

Von welchem Zeitrahmen gehen Sie aus?

Diese Krisen werden sich nicht in wenigen Monaten überwinden lassen. Die Mehrheit der Verbandsmitglieder befürchtet, dass ein Stand von Mitte 2019 frühestens Mitte bis Ende 2021 erreicht wird. Ein wichtiges Instrument, das die Krise etwas abmildert, ist die Kurzarbeit. Die meisten unserer Mitglieder sind überzeugt, dass es ein wichtiges Mittel ist, um die Liquidität und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten. Wir befürworten es in hohem Maße, dass bis Ende 2021 Kurzarbeit noch möglich ist.

Rechnen sie in der Folge mit Personalabbau?

Natürlich werden wir alles versuchen, um Arbeitsplätze zu erhalten, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass, trotz aller Instrumente wie der Kurzarbeit und der Liquiditätssicherung durch die von der Regierung eingeleiteten Maßnahmen, die Krise doch so lange dauern wird, dass gewisse Anpassungen bei der Zahl der Beschäftigten notwendig sind. Das ist wirklich nur die letzte Maßnahme, wenn nichts anderes mehr hilft.

Kommen wir auf die anstehende Tarifrunde zu sprechen.

Das sind besonders schwierige, belastende Voraussetzungen für die Tarifverhandlungen, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit und auch die Existenz vieler Unternehmen in hohem Maße gefährden. Deswegen wird die kommende Tarifverhandlung einen Krisen-Abschluss benötigen – mit dem Ziel der Arbeitsplatzsicherung und der Sicherstellung der Existenz der Unternehmen. Wir müssen mit viel Fantasie und viel Orientierung auf Unternehmens- und Arbeitsplatzsicherung neue, kreative Ideen in den Ring schmeißen, um diese Ziele erreichen zu können.

Wie könnten solche Ideen aussehen?

Wir müssen auf jeden Fall in eine ergebnisoffene Verhandlung hinein gehen. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sollten konstruktiv verhandeln, mit dem Ergebnis, dass man im Interesse aller eine Lösung finden wird. Besonders wichtig ist die Flexibilität der Unternehmen. Es passt nicht jeder Deckel auf jeden Topf. Innerhalb der Tarifvereinbarung muss es auch Differenzierungsmöglichkeiten geben, die einen klaren Automatismus haben. Das heißt, automatische, temporäre betriebliche Abweichungsmöglichkeiten innerhalb der Tarifverträge, wenn zum Beispiel Unternehmen extrem schlechte Erträge haben oder bestimmte Kennzahlen erreicht sind.

Welche Ziele streben Sie noch an?

Planungssicherheit ist wichtig. Wir halten es daher für sinnvoll, dass diesmal deutlich längere Laufzeiten der Tarifeinigung – über zwei Jahre hinaus – möglich sind, damit für alle Unternehmen genügend Zeit und Planungssicherheit besteht, um diese Herausforderungen meistern zu können. Dazu gehört der Strukturwandel, aber auch die Digitalisierung. Das kostet Zeit und Geld.

Die IG Metall hat die Vier-Tage-Woche ins Gespräch gebracht. Wie steht man in Ihrer Branche dazu?

Die Unternehmen haben derzeit deutlich niedrigere Umsätze und Erträge. Viele werden in diesem und im nächsten Jahr mit Verlusten abschließen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen benötigen alle Unternehmen eine Kostenentlastung. Da kann man sich auch vorstellen, dass ein Beschäftigtenbeitrag notwendig ist. Eine Arbeitszeitverkürzung, die mit der Vier-Tage-Woche bei teilweisem Lohnausgleich von der Gewerkschaft schon in den Medien vorgeschlagen wurde, ist genau das, was wir gar nicht brauchen. Das ist nicht hilfreich für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Mit der Vier-Tage-Woche macht man genau das Entgegengesetzte, zwar mit der richtigen Intention, aber mit den falschen Mitteln.

Inwiefern erwarten Sie ein Entgegenkommen der Gewerkschaft?

Konstruktive und gute Lösungen findet man nicht, indem man eindimensional eine Sache betrachtet, sondern aus unterschiedlichen Perspektiven. Ich glaube, dass beide Seiten letztlich vollkommen identische Ziele haben. Es geht um die Existenzerhaltung von Unternehmen und Sicherung der Arbeitsplätze. Nur starke, wettbewerbsfähige und erfolgreiche Unternehmen können eine Arbeitsplatzsicherung realisieren. Wenn beide dieses Ziel haben, wird man eine Lösung finden.

Ist damit auch die 35-Stunden-Woche, die im Frühjahr als Angleichung der Arbeitszeit zwischen West und Ost diskutiert wurde, vom Tisch?

Der Zug ist abgefahren. Wir haben fast ein Jahr lang verhandelt – mit konstruktiven Ansätzen. Ich war bis auf ein einziges Mal selbst dabei. Die 35-Stunden-Woche hatte schon auf dem Papier gestanden, aber aus für mich unerklärlichen Gründen hat die Gewerkschaft die Verhandlungen mehrfach abgebrochen. Das steht momentan, gerade in der jetzigen schwierigen Situation nicht auf dem Fahrplan.

Kürzlich haben IG Metall, Grüne, und SPD einen staatlichen „Mittelstands- und Transformationsfonds“ vorgeschlagen, der sich an Unternehmen, speziell mittelständischen Zulieferern, in Not beteiligen könnte.

Ich persönlich und der Verband halten überhaupt nichts davon. Ich sehe den praktischen, nachhaltigen Sinn nicht. Wir haben ausreichend Instrumente, die den Unternehmen eine Übergangssituation ermöglichen.