Berlin. Durch die Insolvenz des Reisekonzerns Thomas Cook geraten zahlreiche Hotels in Bedrängnis. Sie fordern nun von den Gästen das Geld für die offenen Rechnungen.

Es sollte ein Traumurlaub werden, zwei Wochen an der Costa del Sol mit Partner, Tochter und der anderthalbjährigen Enkeltochter. Doch Andrea K. aus Essen beschreibt, was sie im Hotel Gran Conil nahe Cádiz in Andalusien erlebt, mit einem anderen Wort: „Terror“.

Über Neckermann Reisen hat die Essenerin die Pauschalreise gebucht, vor Reiseantritt überwies Familie K. 5000 Euro. Doch nachdem Thomas Cook am Montag die Insolvenz bekannt gegeben hatte, geht bei vielen Hoteliers die Angst um, dass die Rechnungen offen bleiben. Daher greifen sie teilweise zu rabiaten Maßnahmen – so auch im Gran Conil.

„Die Hotelleitung hat uns einen Zettel ins Zimmer gelegt mit der Aufforderung, das Zimmer sofort zu bezahlen“, berichtet Andrea K. Dass Neckermann Reisen zur deutschen Tochter Thomas Cook GmbH gehört, die derzeit noch um eine Rettung kämpft, interessierte die Hoteliers nicht. Als die Pleite des britischen Mutterkonzerns feststand, seien die Zugänge zu den Zimmern gesperrt worden. Die erste, die diese drakonische Maßnahme zu spüren bekam, sei ihre Tochter gewesen. „Sie wollte der Kleinen die vollen Windeln wechseln, doch die Zimmertür ließ sich mit der Magnetkarte nicht mehr öffnen.“

Die spanische Hotelleitung rechtfertigte sich gegenüber den aufgebrachten Gästen damit, dass sie seit Juni keinen Euro mehr erhalten habe – weder von Thomas Cook noch von Neckermann. Nach Telefonaten mit dem Reisebüro, der Rechtsschutzversicherung und einem Rechtsanwalt entschließt sich Andrea K. zu zahlen – 240 Euro am Montag, weitere 240 Euro am Dienstag. Sie hofft, dass sie das Geld von der Versicherung erstattet bekommt.

Der Fall von Andrea K. ist kein Einzelfall. Im tunesischen Badeort Hammamet wurden Gäste am Sonntag sogar zeitweilig im Hotel festgehalten. Schließlich musste sich sogar der Tourismusminister des Landes einschalten, die Gäste konnten mittlerweile das Land verlassen. Auf Mallorca wurden am Dienstag laut „Mallorca Zeitung“ zwei Paderbornerinnen aufgefordert, beim Auschecken im Hotel an der Playa de Palma den vollen Preis ihres Aufenthalts zu zahlen. Sie weigerten sich.

Reisenden könnten Schnäppchen winken

Doch die Panik der Hoteliers ist nicht unbegründet. In Tunesien erholt sich der Tourismus gerade erst von den Anschlägen im Jahr 2015. Immerhin jeder zehnte Reisende kommt wieder aus der EU. In Spanien dürften die Folgen des Bankrotts des hinter TUI zweitgrößten Reiseveranstalters der Welt noch fatalere Folgen haben: Laut eigenen Angaben war Spanien das beliebteste Thomas-Cook-Urlaubsland im vergangenen Jahr. Schätzungen zufolge brachte Thomas Cook 2018 eine Million Pauschalurlauber nach Mallorca und Ibiza, Menorca und Fuerteventura. Nach ganz Spanien transportierte das Unternehmen knapp vier Millionen Pauschaltouristen.

Die Chefin des mallorquinischen Hotelverbandes FEHM, Maria Frontera, warnte: Der Bankrott des zweitwichtigsten Reiseveranstalters auf der Insel sei eine „beispiellose Situation“. Sie forderte vom spanischen Staat Hilfen für jene Inselunternehmen, die von Thomas Cook mitgerissen werden könnten.

Nach Angaben des Branchenverbandes Exceltur schuldet Thomas Cook in Spanien Hotels und Tourismusbetrieben rund 200 Millionen Euro. Nun wurden alle von Thomas Cook reservierten Hotelbetten auf der Insel storniert. „Das Loch, das Thomas Cook in der Reisebranche hinterlässt, wird nicht einfach zu füllen sein“, sagte Jordi Mora, Vorsitzender des mallorquinischen Unternehmerverbandes PIMEM. Mora erklärte, dass die Zahlungsunfähigkeit des britischen Urlaubsgiganten nicht nur die Hotels, sondern auch Restaurants, Mietwagenunternehmen, lokale Tourveranstalter und den Einzelhandel hart treffe. Der Hotelverband der Insel appellierte an seine Mitglieder, den von der Pleite betroffenen Touristen keine Extrazahlungen für Rechnungen abzuverlangen.

Mallorca-Reisenden könnten in den kommenden Wochen dagegen Schnäppchen winken: Es wird erwartet, dass viele Hotels, die bisher mit Thomas Cook zusammenarbeiteten, nun ihre Preise senken, um Tausende von leeren Betten anderweitig zu verkaufen. Im für Thomas Cook zweitwichtigsten Reiseland, der Türkei, hat das türkische Tourismusministerium den Hotels mit gerichtlichen Konsequenzen gedroht, sollten sie Zahlungen von Gästen verlangen oder sie die Gäste dazu auffordern, ihre Zimmer zu räumen. Zugleich kündigte das Ministerium in Ankara über Twitter an, ein Unterstützungspaket für betroffene heimische Unternehmen „in kürzester Zeit“ verabschieden zu wollen.

In Griechenland schrieb die Wirtschaftszeitung „Naftemporiki“ im Zuge der Thomas-Cook-Pleite vom „stärksten Schlag seit der Finanzkrise“. Griechische Tourismusverbände fürchten, dass die Insolvenz von Thomas Cook den Tourismussektor des Landes bis zu 500 Millionen Euro kosten könnte.

Die britische Regierung setzte derweil die „Operation Matterhorn“ fort, mit der sie die rund 150.000 gestrandeten Urlauber zurück nach Großbritannien holt. Zu ihnen gehört ein Namensvetter des Reisekonzerns: Der 29-jährige Thomas Cook aus Hucknall bei Nottingham wollte eigentlich am Freitag auf Rhodos seine 27-jährige Freundin heiraten, berichtet die „Nottingham Post“. Das Paar hatte sein komplettes Hochzeitspaket über den Reisekonzern geordert, die Hälfte seiner Gäste sollte mit Thomas Cook fliegen. Nun muss das Paar wohl vorzeitig zurückreisen. „Thomas Cook hat uns wegen meines Namens eine Überraschung versprochen – aber dies ist nicht die Überraschung, mit der wir gerechnet haben“, sagte Cook.

Mehreren Nachrichtenagenturen zufolge wollen die Bundesregierung und das Land Hessen dem mit von der Pleite bedrohten Ferienflieger Condor mit einem 380-Millionen-Euro-Überbrückungskredit helfen.

Was Sie jetzt nach der Thomas-Cook-Insolvenz tun können

Was Reisende jetzt tun sollten, erläuterte Jurist Ralf Reichertz von der Verbraucherzentrale Thüringen am Dienstag am Lesertelefon unserer Zeitung.

Ich habe über Neckermann Reisen eine Reise gebucht. Fliegen sollte Condor. Die Airline hat es am Montag abgelehnt, mich mitzunehmen. Hätte sie das gedurft?

Nein, Condor hätte Sie mitnehmen müssen. Denn Neckermann Reisen hat bislang keinen Insolvenzantrag gestellt. Sie hatten also einen bestehenden Vertrag. Leider ist Recht das eine und die Praxis das andere. Mein Rat: Wenden Sie sich an Neckermann Reisen und verlangen Sie Ihr Geld zurück oder einen Ersatzflug. Halten Sie Ihren Vertrag aufrecht. Falls Neckermann Reisen Insolvenz anmelden sollte, müssen Sie sich an den Sicherungsgeber wenden.

Ich habe bei Neckermann Reisen unseren Urlaub gebucht und sorge mich nun, ob er stattfinden wird. Was kann ich tun?

Neckermann Reisen hat keinen Insolvenzantrag gestellt (Stand Dienstag). Somit muss man noch davon ausgehen, dass Ihre Reise stattfinden wird. Das kann sich allerdings ändern. Ich empfehle Ihnen, kontinuierlich die Medien zu verfolgen sowie die Internetseiten von Thomas Cook und Neckermann Reisen zu prüfen. Checken Sie auch regelmäßig Ihre E-Mails und SMS.

Ich habe über Neckermann Reisen nur ein Hotel gebucht. Bin ich im Fall einer Insolvenz abgesichert?

Bei einer Hotel-Buchung handelt es sich nicht um eine Pauschalreise. Bei einer Insolvenz von Neckermann Reisen wären Sie also nicht abgesichert. Dasselbe würde für Urlauber gelten, die nur einen Flug gebucht haben. Sie müssten dann später,, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden.

Ich habe einen Gutschein für eine Reise bei der Thomas Cook GmbH mit Sitz in Oberursel. Kann ich verlangen, dass man mir das Geld für den Gutschein erstattet?

Aktuell hat die deutsche Thomas Cook keinen Insolvenzantrag gestellt (Stand Dienstag). Sie muss den Gutschein einlösen. Sollte sie Insolvenz anmelden, würde der Gutschein auch nicht erstattet. Sie könnten Ihre Forderung dann nur beim Insolvenzverwalter anmelden. Eine Absicherung über den Sicherungsschein ist für Gutscheine nicht vorgesehen.

Mitte 2020 wollen wir mit der deutschen Thomas Cook in den Urlaub fliegen. Unlängst habe ich die erste Rate per Kreditkarte bezahlt. Die versuche ich nun zurückzuholen. Darf ich das?

Im Hinblick auf die aktuelle Berichterstattung in den Medien und darauf, dass niemand weiß, ob ihr Flug gewährleistet sein wird oder ob Ihr Hotel Sie annehmen wird, dürfen Sie ihr Geld meiner Ansicht nach zurückbehalten. Grundsätzlich aber gilt: Sie haben einen Vertrag mit einem Unternehmen geschlossen, das sich aktuell nicht in der Insolvenz befindet. Dieser Vertrag verpflichtet Sie zur Anzahlung. Versuchen Sie aber erst, sich die Reise schriftlich bestätigen zu lassen. Warten Sie ab, bevor Sie weitere Raten begleichen.

Ich habe über Neckermann Reisen eine Pauschalreise für Mitte Oktober gebucht. Sollte ich jetzt stornieren?

Sofern Sie jetzt stornieren, wird eine Stornopauschale in nicht unerheblicher Höhe fällig. Außerdem dürfte es dann nicht mehr möglich sein, sich Geld über den Sicherungsschein zurückzuholen, sollte Neckermann Reisen in die Insolvenz gehen. Ich rate Ihnen deshalb nicht zur einer Stornierung der Reise.

Ich habe bei Bucher Last Minute eine Pauschalreise gekauft. Sofern Bucher auch pleitegeht: Wer muss sich an den Sicherungsgeber wenden?

Sie, also der Kunde. Der Sicherungsgeber steht im Sicherungsschein.

Ich habe bei Öger-Tours eine Reise gebucht. Die zweite Anzahlungsrate wurde nicht abgebucht. Darf ich dem Unternehmen die Einzugsermächtigung entziehen?

Das dürfen Sie jederzeit. Schreiben Sie Öger-Tours außerdem an und teilen Sie mit, dass Sie bezahlen werden, wenn die Reise für Sie ohne zusätzliche Kosten stattfinden wird. Sie haben sich schließlich vertraglich zur Anzahlung verpflichtet. Warten Sie aber auf eine schriftliche Bestätigung.

Wir haben Urlaub bei Neckermann Reisen gebucht. Demnächst ist die zweite Rate fällig. Soll ich zahlen?

Eigentlich haben Sie sich verpflichtet zu zahlen. Und eigentlich muss die Reise stattfinden, denn Neckermann Reisen ist nicht in der Insolvenz (Stand Dienstag). In der Praxis ist die Lage aber sehr unsicher. Aufgrund dessen haben Sie ein Zurückbehaltungsrecht, solange Sie keine Bestätigung von Neckermann Reisen in den Händen halten, dass die Reise tatsächlich durchgeführt wird. Versuchen Sie, sich eine schriftliche Bestätigung von Neckermann Reisen, von der Airline und dem Hotel vor Ort zu holen.