Erfurt. Das Handwerk ist einer der größten Arbeitgeber in Thüringen. Doch viele Betriebe suchen händeringend Nachwuchs. Nun setzt das Handwerk auf ein neues Modell – und Abiturienten.

Das Projekt Handwerkergymnasium, das in Erfurt bundesweit erstmals getestet wurde, könnte Schule machen. Dem ersten Gymnasium, das bei der Nachwuchsgewinnung für das Handwerk helfen soll, sei inzwischen ein zweites in Erfurt gefolgt, teilte der Thüringer Handwerkstag auf Anfrage mit. An diesen beiden Schulen, die neben dem Abitur auch Praktika im Handwerk und Teile der Meisterausbildung wie Betriebswirtschaftslehre bieten, lernten derzeit insgesamt 110 junge Leute. Die beiden Projekt-Gymnasien seien Vorreiter bei der Berufsorientierung, sagte der Präsident des Handwerkstags, Stefan Lobenstein.

Pläne, das Konzept im Schuljahr 2020/21 ebenfalls umzusetzen, bestünden in Sondershausen. Nachahmer gebe es auch in Brandenburg. Die Handwerkskammer in Cottbus habe das Modell an einigen Oberstufenzentren bereits eingeführt.

„Wir brauchen mehr Meister statt Master“

Nach Einschätzung von Lobenstein haben die Abgänger des Handwerkergymnasiums eine gute Startposition ins Berufsleben, ohne die Option auf ein Studium zu verlieren. „Wir brauchen mehr Meister statt Master“, erklärte der Kammerpräsident. Das Handwerk, einer der größten Arbeitgeber in Thüringen, sehe mit Sorge, dass junge Leute vor allem an die Hochschulen und Universitäten drängten und seltener ins Handwerk.

Sollten sich die Schüler der beiden Thüringer Handwerkergymnasien nach dem Abitur für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden, könnte ihre Lehrzeit verkürzt werden, sagte Lobenstein. Wenn sie später einen Meisterabschluss anstrebten, um einen Handwerksbetrieb zu gründen oder zu übernehmen, könnten sie sich auf den fachlichen Teil konzentrieren, weil sie Ausbildungsteile bereits absolviert hätten. Lobenstein: „Das führt nicht nur zu einer Zeitersparnis von mindestens einem halben Jahr, sondern spart auch gut 2500 Euro“. Die Meisterausbildung muss bezahlt werden.

Arbeitgeber für mehr als 151.000 Menschen im Freistaat

Nach Angaben des Thüringer Handwerkstags steht bei etwa einem Drittel der 30.000 Handwerksbetriebe im Freistaat in den kommenden Jahren ein Inhaberwechsel an. Im Bereich der Handwerkskammer Erfurt sei jeder dritte Inhaber älter als 55 Jahre.

Das erste Handwerkergymnasium an der Erfurter Walter-Gropius-Schule, einem beruflichen Gymnasium, war 2016 gestartet. Nach Angaben von Kammer-Geschäftsführer Thomas Malcherek gab es 2019 die ersten 43 Absolventen, darunter 24 junge Frauen. Direkt nach dem Abitur habe jeder Zehnte eine Ausbildung im Handwerk begonnen, andere studierten und strebten dann möglicherweise eine Karriere im Handwerk an.

Thüringens Handwerk boomt seit einigen Jahren. Auch für 2020 sind nach Einschätzung der Kammern die wirtschaftlichen Aussichten gut. Derzeit absolvieren im Thüringer Handwerk rund 6000 junge Leute eine Ausbildung. Die Betriebe sind Arbeitgeber für mehr als 151.000 Menschen im Freistaat.

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