Bad Langensalza. In den Turm geschaut (6): Auf dem Weg zur Seufzerallee befindet sich das wohl ausgefallenste Bauwerk der ehemaligen Stadtbefestigung.

Beim Bummel durch fremde Städte fallen Besuchern mitunter Ecken ins Auge, hinter denen sich offensichtlich eine nicht alltägliche Geschichte verbirgt. Vielleicht sind diese Kuriositäten für die Eingesessenen so selbstverständlich, dass sie keine Fragen mehr aufwerfen. Vielleicht erzählen die Stadtführer ein paar Anekdoten dazu.

Auf so eine Kuriosität stoßen in Bad Langensalza jene Spaziergänger, die von der Seufzerallee in die Lange Straße einbiegen. Richten sie ihre Blicke nach rechts, auf den Rest der mittelalterlichen Stadtmauer, wird ihnen eine Gartenlaube auffallen, die rittlings auf den Steinen sitzt. Die Gästeführer berichten, der Erbauer habe dieses Häuschen errichtet, um jenen Pärchen hinterher zu schauen, die vom Trennungsschmerz bewegt durch die Seufzerallee Richtung Bahnhof zogen.

Blick ins Innere: Heute wird die Laube als Teestube genutzt. Das Ambiente wirkt wie eine Miniaturversion von Goethes Gartenhaus, mit dunkelbraunen Holzmöbeln, Vasen, Amphoren, Büsten.
Blick ins Innere: Heute wird die Laube als Teestube genutzt. Das Ambiente wirkt wie eine Miniaturversion von Goethes Gartenhaus, mit dunkelbraunen Holzmöbeln, Vasen, Amphoren, Büsten. © Daniel Volkmann

Reinhard Walter, auf dessen Grundstück die Laube heute liegt, findet diese Vorstellung sympathisch. Auch wenn er zu bedenken gibt, dass es den 1870 in Betrieb genommenen Bahnhof beim Bau der Laube Anfang des 19. Jahrhunderts noch gar nicht gab. Die Laube sitzt auf dem Stumpf eines Rundturms, der ehemals an dieser Stelle stand. Die Mauer ist heute zugleich die Umrandung eines Gartens, der zum Haus Lange Straße 36 gehört. 1970 erwarb Reinhard Walters Vater das Gebäude, seit 50 Jahren ist es in Familienbesitz, heute lebt Reinhard Walter mit seiner Frau hier.

„Die Laube wurde um 1800 oder 1810 herum gebaut. Damals waren das Grundstück an der Laube und das am einstigen Stadttor noch separiert, erst später wurde eine Fläche daraus“ weiß Reinhard Walter. An der heutigen Langen Straße stand einst das Westtor, auch Kriegstor genannt. Der martialische Name geht auf den Anwohner Dietrich Kryg zurück, berichtet Gisela Münch in ihrem Buch zur mittelalterlichen Stadtbefestigung.

Tore wurden unpraktisch, sodass Zollhäuschen entstanden

Um 1830 wurde anstelle des Tores das heutige Haus errichtet. „Die Tore wurden unpraktisch für den Verkehr in und aus der Stadt. Also wurden sie weggerissen. Zwischen 1810 und 1830 entstanden die Zollhäuser“, so Reinhard Walter.

In diesen saßen die Beamten und erledigten die erforderlichen Schreib- und Verwaltungsakte. „Als wir den Fußboden im Haus saniert haben, fielen uns gelbe Pfennige in die Hände. Dabei handelte es sich um Rechenpfennige, wie sie im Zollhaus verwendet wurden“, berichtet Reinhard Walter. Lange waren die Zollhäuschen nicht in Funktion. 1850 wurde das Gebäude in der Langen Straße privatisiert, eine Witwe kaufte das Haus.

Dass die Laube auf einem Turmstumpf sitzt, ist von außen kaum zu erkennen. Im Inneren ist der hohle Kegel bis heute zu sehen. 1918 entstand zudem ein Stallgebäude, das direkt unterhalb der Laube an der Mauer sitzt. Die Stadtmauer an dieser Stelle gehörte zum inneren Ring und entstand im 14. Jahrhundert. Vor der Mauer befand sich einst Wasser, ein Umstand, der nachwirkt, denn der Keller ist feucht.

Die Laube selbst nutzte die Familie meist als Gartenhaus. „Ich selbst habe hier einige Zeit gewohnt und meine chemischen Versuche geprobt“, erinnert sich Reinhard Walter und lacht. Er ist Chemiker, arbeitete später im Pharmabereich.

Heute dient die Laube ab und an als Teestube. Der kleine quadratische Raum wirkt im ersten Moment wie eine Miniaturausgabe von Goethes Gartenhaus im Weimarer Ilmpark. Dunkle Bodendielen, helle Wände, Bilder mit Blumen und alten Stadtansichten, ein Buffetschrank mit Geschirr und Wandregale mit Vasen – alles in Holz gehalten. Von der Laube bietet sich ein interessanter Blick auf die Umgebung. In südlicher Richtung liegt der Steinbruch der Traco Travertinwerke, dahinter liegt das Grün der Seufzerallee. In östlicher Richtung erheben sich die mächtigen Dunstschlote der ehemaligen Malzfabrik.

Diese stilisierte Grafik verdeutlicht, an welchem Punkt der Stadtmauer sich der Rundgang gerade befindet.
Diese stilisierte Grafik verdeutlicht, an welchem Punkt der Stadtmauer sich der Rundgang gerade befindet. © Andreas Wetzel

Die Bad Langensalzaer Stadtmauer

Die heutige Altstadt von Bad Langensalza war einst durch eine weitläufige Stadtmauer geschützt. Trotz vieler Abrisse im Laufe der Jahrhunderte sind bis heute noch weite Teile der Befestigung erhalten. Von den ehemals mehr als 30 Türmen können heute noch 16 und ein Gartenhäuschen auf der Mauer betrachtet werden.

Im Jahr 1212 erhob Kaiser Otto IV. die Dryburg mit der umgebenden Siedlung Salza zur Stadt. Damit einher ging das Recht der Stadtbewohner zum Bau einer schützenden Befestigung.

Der erste Stadtmauerring mit etwa 1,5 Kilometern Länge umschloss die Altstadt, was etwa dem Areal zwischen Erfurter Tor, Mauergasse, Lindenbühl/Herrenstraße, Bornklagengasse, Wiebeckplatz, unterer Mühlhäuser Straße, Dryburg, Jüdengasse, Kurpromenade und Erfurter Straße entspricht.

Mit dem Bau des zweiten Stadtmauerrings wurde 1356 begonnen. Die Übergänge zwischen beiden Ringen bildeten ein nicht mehr erhaltener Rundturm neben dem Butterturm sowie der Tellerturm an der Kurpromenade.

Quelle: Gisela Münch, Die mittelalterliche Stadtbefestigung von Bad Langensalza, Verlag Rockstuhl

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