Weimar. Die Corona-Krise wird die Theaterszene in Thüringen verändern. Aber wie?

Eigentlich hätte Christoph Drescher jetzt alle Hände voll zu tun mit Ticketverkäufen. Die Nachfrage ist riesig, doch der Geschäftsführer der Thüringer Bachwochen zögert: Vorerst nimmt er nur Reservierungen entgegen; das Schreckgespenst, dass das größte E-Musik-Festival im Lande (27.3.-18.4.) abermals der Corona-Krise zum Opfer fallen könnte, scheint allzu realistisch. So bereitet Drescher einen „Plan B“ vor – und bleibt unverdrossen. Alles Wichtige zur Corona-Pandemie in Thüringen lesen Sie in unserem Blog

„Ich bin überzeugt davon, dass es wieder ein volles Konzertleben geben wird“, beteuert der Pragmatiker. Nur ist ihm klar, dass er den „Tag Eins danach“ noch nicht in diesem Frühjahr erlebt. Der Übergang zurück ins Kulturleben wird behutsam und allmählich stattfinden. Von voll besetzten Konzertsälen und Kirchen kann Drescher also vorerst nur träumen; das „Salzburger Schachbrett“, das eine 50-Prozent-Auslastung bei strikter Maskenpflicht beschreibt, wäre in seinen Augen bereits ein Segen.

„Das wird noch lange so bleiben“, fürchtet Drescher. Denn zumal bei den Älteren unter den Bach-Fans habe sich eine tiefe Verunsicherung festgesetzt. Deshalb schwant ihm, dass der seit Jahren gewachsene Markt für Kulturreisen nun schrumpft – auch aus Erwägungen des Klimaschutzes: „weil es nicht mehr so dringlich für einen amerikanischen Bach-Fan ist, für zwei, drei Konzerte nach Europa zu reisen.“ Manche würden das durch digitale Alternativen – Live-Streamings etwa – zu kompensieren versuchen.

Drescher fürchtet außerdem, dass so mancher Künstler und Veranstalter im Lockdown die Segel streicht. Rolf C. Hemke, Weimars Kunstfest-Kurator, sieht für seine Klientel sogar noch schwärzer. „Was die Festivalszene weltweit betrifft, wird das desaströs“, klagt er. Zumal Künstler und Ensembles etwa in afrikanischen oder lateinamerikanischen Ländern nicht die Hilfe erhalten, die man ihren deutschen Kollegen verspricht.

„Nicht die Besten werden überleben, sondern die Geschäftstüchtigsten“, prophezeit Hemke. Er plant fürs Kunstfest vom 25. August bis 11. September flexibel wie im Vorjahr, bereitet sich also mit Open-Airs und kleineren Formaten unter Abstandsregeln auf anhaltende, wenngleich gelockerte Restriktionen vor. Einige Produktionen – etwa die „Cion“-Performance des Vuyani Dance Theatre aus Südafrika – könnten unter Bubble-Bedingungen stattfinden, so wie zurzeit die Handball-WM.

Ästhetisch hingegen nimmt das Virus keinen Einfluss auf die Bühne, so Hemke: „Ich glaube, dass sich die Spielweisen à la longue nicht ändern.“ Davon geht auch Dominik Beykirch aus. Der DNT-Chefdirigent weigert sich energisch, sich eine Zukunft ohne große Strauss-Opern vorzustellen. „Dafür bin ich zu jung“, sagt der 30-Jährige fest. Eine Existenz wie in einem Wartesaal des Lebens? Dafür ist er dann doch viel zu optimistisch eingestellt.

Schrittweise soll es an Weimars Theater zurück zu alten Formaten gehen, und man plant Alternativen mit ein. Daher bleibt Bizets „Carmen“ als Vorhaben auf dem Spielplan; notfalls in einer Kammermusik-Variante. Und auch die „Ariadne auf Naxos“ kommt wieder. Vor dem Lockdown hat Beykirch nur die Premiere dirigieren können. Und trotzdem wurde die unorthodoxe Regiearbeit Martin G. Bergers, die viel Bewegung während der Vorstellung im Publikum macht, just mit dem Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet. „Das wird ein neuer Anlauf“, verspricht Beykirch, „man muss das Pferd wieder neu aufzäumen.“

Peu à peu werde die Staatskapelle zurück in große Besetzungen finden. Miteinander atmen, aufeinander hören: Wie klingt so ein Hochleistungsgetriebe, wenn es ein Jahr lang zur Stille verdammt war? Der junge Chef weiß, dass das Geduld braucht. Aber ebenso, dass er's mit Vollprofis aus Leidenschaft zu tun hat. Erst, wenn große Chorsinfonik wieder möglich wird, gibt er sich zufrieden. Dann ist der alte Status quo wieder erreicht. Ähnlich plant Intendant Kay Kuntze in Gera und Altenburg. Er wird im Spielplan zunächst mit den kleinen, Corona-tauglichen Produktionen aus dem Herbst wieder einsteigen. Nur wann, ist ungewiss. Am liebsten noch in dieser Saison, notfalls in der nächsten. Doch Kuntze sieht „Licht am Ende des Tunnels“, hegt erdenkliche Zuversicht.

Er erinnert an die unmittelbare Nachkriegszeit, als inmitten der Trümmer ein Spielbetrieb improvisiert wurde. Theater, Musik, die Kunst generell betrachtet der Kulturmensch als (Über-)Lebensmittel. Und Beykirch, dem die Schönheit seines Berufes dank der Krise bewusster geworden ist, zitiert die Figur des Komponisten aus der „Ariadne“: „Musik ist eine heilige Kunst zu versammeln alle Arten von Mut.“ Klingt wie ein Bekenntnis. Und ist so gemeint.