Erfurt. Das größte Tonkunst-Festival Thüringens startet diesen Freitag. Geschäftsführer Christoph Drescher schaut im Interview voraus – und auf 14 Jahre zurück.

Mit 53 Veranstaltungen an 16 Orten beginnen diesen Freitag die Thüringer Bachwochen. Sie haben sich – im 15. Jahrgang vom gleichnamigen Verein organisiert – zum größten Tonkunst-Festival im Lande gemausert. Zu den Stars im Programm zählen das Gabrieli Consort, Gli Angeli Genève und der Concerto Italiano oder der Pianist Pierre-Laurent Aimard. Geschäftsführer Christoph Drescher kann aus einem Budget von 750.000 Euro – davon 285.000 Euro an Landeszuschüssen – schöpfen und rechnet mit rund 20.000 Besuchern. Wir sprachen mit ihm.

Seit 2004 führt Christoph Drescher die Geschäfte der Thüringer Bachwochen. Foto: Sascha Fromm
Seit 2004 führt Christoph Drescher die Geschäfte der Thüringer Bachwochen. Foto: Sascha Fromm © zgt

Wie haben sich die Bachwochen in den zurückliegenden 15 Jahren entwickelt?

Sie sind sowohl in ihrem Anspruch als auch in ihrer Wahrnehmung stetig gewachsen. Wir sind damals angetreten, um Thüringen wieder als Land Bachs zu profilieren und um klarzustellen, dass er nicht als Ufo in Leipzig gelandet ist, sondern eine Geschichte hat. Das ist uns inzwischen gut gelungen. Obwohl wir im nationalen und internationalen Vergleich noch zu den kleineren Festivals gehören und nicht die ganz großen Gagen zahlen, sind wir doch so weit gewachsen, dass wir immer interessantere und namhaftere Künstler für unsere Bachwochen gewinnen.

Wie stark steht das touristische Interesse im Vordergrund?

Es spielt natürlich eine Rolle. Mit 53 Konzerten würden wir die Thüringer Musikfreunde allein überfordern; der Programmumfang übersteigt den regionalen Bedarf binnen dieser drei Wochen deutlich. Insofern brauchen und wollen wir die Touristen: weil sie als Multiplikatoren das hiesige Bach-Narrativ zu Hause weitererzählen und weil sie als Urlauber schließlich auch Umsätze für die hiesige Wirtschaft generieren. 60 Prozent unserer Besucher kommen von außerhalb, etwa ein Sechstel davon aus dem Ausland.

Bleiben der Osten und Süden Thüringens im Programm unterbelichtet?

Das nicht. Aber sie spielen auch keine vorrangige Rolle – im Festival heute ebenso wie im Leben Bachs seinerzeit. Zu Anfang haben wir uns auf die originären Bach-Orte Eisenach, Ohrdruf, Arnstadt, Weimar und Mühlhausen sowie Wechmar, Dornheim und Erfurt konzentriert. Heute denken wir die weit verzweigte Bachische Familie mit und betrachten sein rühriges Wirken im Lande; das bringt zum Beispiel Meiningen ins Spiel oder die Reformationsstadt Schmalkalden. Und mit 16 Spielorten in diesem Jahr muten wir uns logistisch durchaus etwas zu.

Würde es lohnen, mehr mit Weltstars aufzuwarten?

Sicherlich würden wir damit Zielgruppen aus dem Premium-Segment besser erreichen; andererseits würde das mehr Ressourcen binden und den Programmumfang einschränken. Ich finde es spannender, wenn man bei uns interessante Künstler und Ensembles entdecken kann, zum Beispiel das Hildebrandt Consort in Waltershausen.

Ist Bach allein nicht ein ziemlich monothematisches Programm?

Bach war so vielseitig, dass er sich für seine Interpreten und Hörer niemals erschöpft. Außerdem stellen wir ihn nicht unter Denkmalschutz und betrachten uns nicht als Alte-Musik-Festival im strengen Sinn. Sondern wir zeigen Bach auch als Inspirationsquelle für alle, die nach ihm kamen. Wir haben ein tolles Tanztheater von Claire Croizé im Jenaer Volkshaus, den kanadischen Pianisten John Kameel Farah, der Eigenkompositionen mit Bach kombiniert, oder gleich zu Beginn diesen Freitag Vikingur Ólafsson, der Noten von Bach und Philip Glass mitbringt.

„Bach – der Konstrukteur“ heißt diesmal Ihr bauhäusisches Thema. Wie bringen Sie Paul Klee & Co. zum Klingen?

Die Vielfalt an Anknüpfungspunkten zwischen Bach und Bauhaus liegen näher, als man denkt. Klee, Feininger und andere haben am und im Bauhaus natürlich Bach musiziert. Interessant finde ich aber auch, sich das Klangbild vor 100 Jahren zu vergegenwärtigen: zum Beispiel in einem Konzert des MDR-Sinfonieorchesters, das Bach in Bearbeitungen Schönbergs und Mahlers spielt. In weiteren Konzerten nähern wir uns Bach über Bauhaus-Themen wie Struktur, Form, Funktionalität oder Handwerk an. All das war ihm ebenfalls wichtig.

Sie stellen wieder eine „Lange Nacht der Hausmusik“ am Freitag voran. Welches ist die musikalischste Stadt im ganzen Land?

Von den 104 Konzertterminen am Freitagabend finden die meisten in Erfurt statt. Gleich danach kommen Weimar und Mühlhausen im Ranking – das aber schlicht die Größe der Städte widerspiegelt. Musik gibt’s in den kleinsten Orten und Gemeinden, wir bringen ganz Thüringen zum Klingen. Die Spielorte vom Freitag findet man auf unseren Internetseiten, und wir statten die privaten Musiker mit Festival-Fahnen aus, die sie in ihre Fenster hängen.

Einen Programmhöhepunkt bilden jedes Jahr die Leidens- und Trauermusiken. Schlägt Ihnen das nicht aufs Gemüt?

Keineswegs, die Passionen bewegen mich immer wieder aufs Neue sehr tief. Dieses Jahr freue ich mich besonders auf das Gabrieli Consort und Paul McCreesh in Arnstadt, weil sie schon lange auf meiner Wunschliste standen, und auf die sehr intime Version der Johannespassion mit drei Künstlern, dem Tenor Benedikt Kristjansson, dem Perkussionisten Philipp Lamprecht und der Cembalistin Elina Albach in der Jakobskirche in Weimar; die Choräle werden vom Publikum gesungen. Das war bei der Uraufführung vor ein paar Wochen in Berlin ein fantastischer Erfolg.

Soli Deo Gloria: Wie kommt die christliche Botschaft der Bachischen Musik im säkularisierten Thüringen an?

Sehr gut. Man unterschätzt das landläufig. So mancher Besucher beklagt sich sogar, wenn wir Sakralmusik in einem Konzertsaal und nicht in der Kirche aufführen. Es gibt also eine Beziehung zu Bach und seinen Werken im kirchlichen Rahmen, die vom individuellen Glauben möglicherweise entkoppelt ist. Was viele heute als Bach-Christentum bezeichnen, findet man als einen kulturellen Standard in den Köpfen und Herzen der Menschen hierzulande enorm präsent.

Welche Wünsche haben Sie sich in all den Jahren noch nicht erfüllt, welche Ziele noch nicht erreicht?

Auf der Wunschliste stehen keine Künstler, die wir noch nicht hier gehabt hätten – außer vielleicht der legendären Hamburger Johannespassion in der Choreografie John Neumeiers. Aber die Neugierde, aufregende Bach-Produktionen und Bach-Zugänge oder die immer wieder überraschende junge Generation neu zu entdecken, bleibt ungestillt.

Zur Sache: Ticketverkauf

Tickets/Infos: Tel. (0361) 37420 www.thueringer-bachwochen.de