Arnstadt. Gabrieli Consort & Players tragen bei den Thüringer Bachwochen die Matthäuspassion in Arnstadt mit britischer Exzellenz und opernhafter Dramatik vor

Mit einem Weltklasse-Ensemble der Alten Musik sind die Thüringer Bachwochen in die Passionszeit gestartet. Das Gabrieli Consort & Players aus London gastierte unter Leitung seines Gründers Paul McCreesh am Palmsonntag in der Bachkirche zu Arnstadt, um die Matthäuspassion zu musizieren. Und dieses „größte und heiligste Werk der Tonkunst aller Völker“, wie Adolf Bernhard Marx es ehedem nannte, geriet unter den kundigen Händen des Briten zu einem wahrhaftigen Fest der Sinne – hochdramatisch und wundervoll farbenreich.

Darf man sich derart an einer Passionsmusik ergötzen? Ist doch der Leidensweg Jesu Christi – von dessen Ankunft in Jerusalem über den Gerichtsprozess und die Kreuzigung auf Golgatha bis hin zur traurigen Grablege – deren Sujet? Aber nur eingefleischte Pietisten mögen sich mit derlei Zweifel geplagt haben. McCreesh & Co. schufen mit der Aufführung ein fragil-ephemeres Kunstwerk im Dienste des Herrn, das ihnen – und ihm – zur höchsten Ehre gereicht. Ein solistisch besetzter Doppelchor mit bloß acht Sängern reichte aus, um das Kirchlein mit Gesang anzufüllen. Dazu legten die Gabrieli Players mit relativ breiter Streicherbesetzung ein üppiges, gleichwohl luzide transparentes Klangfundament.

Allein, einem McCreesh bei der Arbeit zuzuschauen, bereitet die hellste Freude. Souverän, scheinbar entspannt und dennoch hoch konzentriert dirigiert er im Verein seiner Freunde mit kleinen, spärlichen Gesten – und gibt ein verblüffend hohes Grundtempo vor. Das forciert diese Passion Bachs, die im Unterschied zu der nach den Worten Johanni als die kontemplativere, trübere gilt, zu einem beinah opernhaften Ereignis. Wesentlich tragen die enorm reagiblen Chöre dazu bei; solistisch ragen die herrlich intonierenden Soprane Anna Dennis und Mhairi Lawson sowie der als Evangelist kurzfristig eingesprungene Jeremy Budd mit seinem silberhellen Tenor heraus. Aber auch James Newby weiß seine Christus-Partie voller Demut mit psychologischem Spürsinn situativ zu gestalten. Was für eine packende Demonstration einer über Jahre, Jahrzehnte gereiften Exzellenz!

So farbig die Klangbildung, so plastisch die Agogik. Das eifernde Volk, das die Hinrichtung fordert und lieber dem Verbrecher Barabas als Jesus, dem Erlöser, Gnade gewährt, hat man selten so aggressiv und furios erlebt, und der große Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ wird in aller zwiespältigen Empathie vorgetragen. Die Rezitative indes fasst man als delikate Gelegenheit für dialogische Kammermusik auf. All dies ergibt die ideale Verbindung von ins­trumentalem und vokalem Gesang.

Voller Inbrunst, mit heiligem Ernst ob der Passion Christi, doch voller Freude ob der Musik Bachs, hat das Arnstädter Auditorium gebannt gelauscht. Voll besetzt ist das dreischiffige Kirchlein, nur die akustisch heiklen Seitenemporen sind frei. Und als der Chor am Ende „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ verkündet hat, da hält es keinen Hörer mehr auf der Kirchenbank: Stehender Jubel brandet den Briten entgegen. Schließlich weiß man ja, wie die Geschichte weitergeht, am dritten Tage...