Bürgel. Wie Pfarrer Eckhard Waschnewski und seine Kirchgemeinde den Konzertsommer in Thalbürgel organisieren

Diesen Sonntag, Palmsonntag, füllt sich wie stets, wenn die Passionszeit ihrem Höhepunkt zusteuert, die Klosterkirche in Thalbürgel wie von Zauberhand. Eines Wunders bedarf es dazu nicht; der Knabenchor der Jenaer Philharmonie singt Johann Sebastian Bachs Johannespassion zum Start in den 47. Konzertsommer. Dann pilgern wieder Musikfreunde aus nah und fern in das Dorf im Holzland, um in dem fast 900-jährigen Gemäuer, das Benediktinern einst eine Heimstatt gab, innere Einkehr zu finden. Die Musikreihe ist beliebt und längst kein Geheimtipp mehr.

Gleichwohl ist das Phänomen, dass diese namhafte Kultur-Institution – mit neun exquisiten Veranstaltungen von April bis September – auf dem Land existiert, rational nicht ganz erklärlich. So wortreich Eckhard Waschnewski als deren Manager auch Argumente sucht, vermag er doch nicht den Eindruck zu zerstreuen, dass himmlische Kräfte im Spiel sind. Will er auch gar nicht. Seit 20 Jahren versieht Waschnewski im Hauptberuf das Amt des Pfarrers in Bürgel, und fröhlich gesteht er: „Die Kirche würde ich nie so voll sehen, wenn es die Konzerte nicht gäbe.“

Mit 550 Plätzen ist das romanische Gotteshaus für den regulären Sonntagsgebrauch überdimensioniert. Nur zu hohen Feiertagen und für Hochzeiten dient es noch sakralen Zwecken. Andererseits lastet die Verantwortung für das denkmalgeschützte Gebäude schwer auf seiner Eigentümerin, der Bürgeler Kirchgemeinde. Flugs skizziert Waschnewski das aktuelle Vier-Millionen-Euro-Projekt, das unter anderem Sanitäranlagen, Barrierefreiheit und Beleuchtung ertüchtigen sowie die alte Klausur des Klosters wieder erschließen soll. Die Konzerte werben dafür um Aufmerksamkeit – und Spenden.

Sponsoren und Mäzenen unterstützen die Konzerte

Neben solcherlei weltlichem „Zusatznutzen“ verhehlt Waschnewski seinen geistlichen Ansporn keineswegs. Nicht, dass er die Konzertbesucher mit missionarischem Eifer traktierte. „Aber ich spüre: Diese Kirche hat einen Auftrag“, sagt er. So gönnt er den Hörern gern die Gelegenheit zu „theologisch-philosophischen Betrachtungen über das Ziel des Lebens“, zur Meditation in der Musik. „Aber man hat auch die Freiheit, es als Konzert zu genießen“, betont er. Zumal Waschnewski nicht ausschließlich Passionen und andere geistliche Werke programmiert.

Den Gottesmann, der im Oderbruch aufwuchs, treibt seit je eine Leidenschaft für Musik um. Als Chorknabe durchwanderte er alle Register und ist inzwischen im Bass angekommen. Im Elternhaus, in der kirchlichen Abiturschule und während des Studiums in Naumburg: Stets hat Waschnewski gesungen. Nur in der kurzen Phase als Abgeordneter der letzten DDR-Volkskammer war dieses Talent nicht gefragt. Jetzt, als Impresario des Herrn, kommt ihm seine Musik-Expertise zugute.

Dabei agiert Eckhard Waschnewski mit äußerstem Geschick als kühler Rechner. 40 Prozent des knapp 70.000 Euro kleinen Konzertsommer-Budgets wirbt er bei Mäzenen und aus Fördermitteln der öffentlichen Hände ein. Die Jenoptik AG sowie die regionalen Sparkassen und Energieversorger helfen fast schon aus Tradition. Den größeren Teil des Aufwands müssen dem Kirchenmann die Konzerte erlösen, und den hält er nach Kräften gering. Für kleines Geld sind jedoch das Händelfestspielorchester und die Staatskapelle Halle, die Thomaner aus Leipzig und der Kammerchor der Dresdner Frauenkirche auch nicht zu haben.

30 ehrenamtliche Helfer stehen dem Veranstalter zur Seite

Wie macht er das bloß? Wer das Management Waschnewskis unter die Lupe nimmt, stellt verblüfft fest: Herzenswärme ist sein unerschöpfliches Betriebskapital. Mit Agenturen arbeitet er selten zusammen, fast alle Künstler kennt er persönlich. Den Thomaskantor Gotthold Schwarz und Matthias Grünert, dessen Dresdner Pendant, schon seit Jahren. Beide schätzen die Klosterkirche für ihre Akustik auch als CD-Aufnahmestudio. Natürlich kommen sie ihm, so weit es geht, gerne entgegen. Und wenn einmal ein ganzer Chor nach dem Konzert übernachten muss, die Hotelrechnung also leicht den Erlös überstiege, dann bringt der Pfarrer die Sänger privat für eine Nacht in seiner Gemeinde unter.

Herzlichkeit unter den Menschen prägt den Konzertsommer Thalbürgel. Rund 30 ehrenamtliche Helfer, berichtet Waschnewski, stehen ihm und seiner Frau gern zur Seite, weisen Kraftfahrer auf Parkplätze ein, kontrollieren am Einlass, übernehmen das Catering und sorgen für ein adrettes Ambiente. Längst ist die Musikreihe zu einem Projekt der evangelischen Kirchgemeinde geworden, der immerhin 600 der 2800 Bürgeler Bürger angehören. Das stiftet Zusammenhalt und Gemeinsinn und führte schon zu politischen Implikationen: Als Waschnewski vor zwei Jahren den berühmten lettischen Komponisten Peteris Vasks einfach anrief und prompt ins thüringische Holzland lotste, war das der Anbeginn eines regulären Austauschs. Inzwischen ist sogar eine Bürgeler Städtepartnerschaft mit dem 1500 Kilometer entfernten baltischen Vecpiebalga daraus geworden.

„Mein Beruf fällt mir nicht schwer, der macht mit Freude“, resümiert Waschnewski und meint damit die seelsorgerische Aufgabe. Und das Nebenamt? – „Rein um der Musik willen müsste ich mir diesen Stress, diesen Arbeitsaufwand und das Risiko nicht zumuten.“ Schließlich verbringt er fast seine gesamte Freizeit damit und rechnet den Sommer über mit 60 und 70 Stunden pro Woche. „Aber es ist ein schönes Gefühl, Menschen glücklich machen zu können.“ Das wäre – im doppelten Sinne – ein Gotteslohn für Waschnewskis völlig uneitlen Einsatz zugunsten des unglaublichen – aber wahrhaft wirklichen – Konzertsommers.

Ein bisschen angespannt, letztlich voll Gottvertrauen schaut der 62-Jährige über den Horizont des aktuellen, 47. Jahrgangs hinaus und sagt leise: „Ich hoffe, dass ich den 50. noch machen darf.“ Welche Zusatzqualifikation sein Nachfolger im Pfarramt idealerweise mitbringen sollte, muss man ihn gar nicht mehr fragen.

Das Programm in Thalbürgel:

  • Sonntag, 14. April, 17 Uhr Händelfestspielorchester Halle und Knabenchor der Jenaer Philharmonie: „Johannespassion“ von Johann Sebastian Bach
  • Samstag, 4. Mai, 20 Uhr Tabea Hubert (Violoncello) und Nicolae Vezure (Klavier): Werke von Debussy, Beethoven und ­Ginastera
  • Samstag, 18. Mai, 20 Uhr Kammerchor der Frauenkirche Dresden, ensemble frauenkirche dresden, Julia Sophie Wagner (Sopran), Henriette Gödde (Alt), Benedikt Kristjansson (Tenor), Tobias Berndt (Bass): Bach-Motette „Der Gerechte kommt um“, Paukenmesse und Sinfonie Nr. 75 von Haydn
  • Sonntag, 2. Juni, 17 Uhr Volker Ranisch: Schauspiel „Mahle, Mühle, mahle“ nach der Geschichte „Die schöne Müllerin“ von Schubert und Wilhelm Müller sowie Texten von ­Panizza
  • Samstag, 15. Juni, 20 Uhr „Lettische Landschaften“: Erika Jonite (Sopran) und Veronika Zubairova (Klavier) interpre- tieren romantische Werke der lettischen Musik des 19. und 20. Jahrhunderts
  • Sonntag, 30. Juni, 18 Uhr Thomanerchor Leipzig: Missa brevis (Buxtehude), „Jesu, meine Freude“ (J.S. Bach), „Warum ist das Licht gegeben“ (Brahms) und anderes
  • Samstag, 31. August, 20 Uhr Staatskapelle Halle: Ouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“ op. 32 (Mendelssohn Bartholdy), „Aus Holbergs Zeit“ (Grieg), Holbergiana (Gade)
  • Samstag, 14. September, 20 Uhr Nacht der Kammermusik mit Lichtinstallationen: Günter Gäbler (Oboe), Friedemann Eichhorn (Violine) und Oksana Andriyenko (Klavier) interpretieren Werke von Ravel, Schumann, Say und Morricone
  • Tickets unter Tel. (036692) 222 10 und unter www.klosterkirche-thalbuergel.de