Jena. Die Rosenthal-Stipendiatin aus Jena stellt ihren sensationell leisen, poetischen Roman „Samota“ vor.

Ihren poetisch verzauberten und hochgradig sensiblen Roman „Samota“ hat Volha Hapeyeva bereits 2021 auf Belarussisch veröffentlicht. Nun endlich ist dieses Buch bei Droschl in Salzburg in deutscher Sprache erschienen. Die finalen Übersetzungen hat die anno 2019 der Minsker Heimat entfleuchte Autorin von ihrer Jenaer Klause aus begleitet, denn seit November hält sie dort das Clara-und-Eduard-Rosenthal-Stipendium. Unverdient fühlen wir Thüringer uns beschenkt.

Somnambul schwebende Ausdruckskraft voller magischer Bilder

Wer bei Schriftstellern wie Fernando Pessoa oder Robert Walser zu Hause ist, lernt in ihr eine junge Nichte im Geiste kennen; man wird – magisch angezogen von einem ätherisch klaren Denken und Fühlen – augenblicklich entschleunigt und genießt umso mehr Hapeyevas somnambul schwebende Ausdruckskraft, getrüffelt von unverbrauchter lyrischer Metaphorik. Leicht verzeiht man dafür zuweilen künstlich wirkende Dialoge im Stile altertümlicher Disputationen.

Das Gegenteil leichter Unterhaltungslektüre

Nur muss in achtsamen Zeiten die modische Triggerwarnung gelten, dass allzu eilige, oberflächliche, nach unterhaltsamem Kitzel begierige Leser irritiert, ermattet und vom sanften Bewusstseinsstrom der Erzählerin alsbald hinauskomplimentiert werden. Wer indes Zutrauen fasst, stürzt sich in diese fremde, hyperrealistische Welt aus Wörtern, um berührt zu werden.

Die Zentralfigur ist eine Gefangene in emotionaler Arktis

Die Hauptfigur Maja, eine Vulkanologin mit fein justierten Weltwahrnehmungsantennen, schildert ihr Unwohlsein in einer Umwelt empathieloser Menschen. Ihre Zuneigung schenkt sie, in „emotionaler Arktis“ befangen, folglich lieber den Tieren, Hunden, Pferden und sogar einer Muschel, die sich in Erwiderung ihrer Zärtlichkeit öffnet. Sogar einer als autonom fühlend und lebendig empfundenen Botanik – etwa dem Schirmchen einer Pusteblume – billigt sie liebevollen Respekt zu.

Volha Hapeyeva: Samota. Die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber. Übersetzt von Tina Wünschmann und Matthias Göritzman. Droschl Literaturverlage Salzburg und Wien, 2024. 192 Seiten, 25 Euro
Volha Hapeyeva: Samota. Die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber. Übersetzt von Tina Wünschmann und Matthias Göritzman. Droschl Literaturverlage Salzburg und Wien, 2024. 192 Seiten, 25 Euro © Verlag | Droschl

Zugleich leidet Maja unter ihrer Beziehungsarmut; mit einer Freundin, der Tierpsychotherapeutin Helga-Maria, verharrt sie in einem Verhältnis unnahbarer Nähe. Beiden ist jegliche Ausbeutung der Natur durch die Menschen, zumal die industrielle und nutzlose Verwertung von Tieren, verabscheuungswürdig, darin sind sie sich einig. Um nicht vollends in die Realitätsferne abzudriften, sucht Maja Haltepunkte in der wissenschaftlichen Objektivierung.

Eine verstörende Parallelmontage erschließt sich erst am Ende

Dieser Zentralfigur verleiht die Autorin durch eine Ich-Perspektive besonderes Gewicht; tatsächlich wird „Samota“ jedoch aus der Warte einer auktorialen, allwissenden Erzählerin frei über Zeiten und Räume hinweg entfaltet. Kenntlichkeit gewinnt dieser unkonventionelle konstruktive Kunstgriff, als sie nach dem ersten Drittel des Romans beginnt, eine Parallelgeschichte einzumontieren.

Da lernen wir Leser eine Art Alter ego, Sebastian, kennen, der unbewusst dieselbe naturethische Grundhaltung hegt – und am Ende konsequent danach handelt. Die homoerotischen Avancen seines Vermieters weist er zurück; Liebe – in einem höheren Sinne – erfährt er erst im Hinscheiden von der Welt: durch eine Wölfin.

Lange erscheinen beide Erzählstränge in verstörender Weise nahezu unverbunden. Erst in den letzten zwei von 14 Kapiteln schürzt sich der Knoten, und die Botschaft erscheint in vollständiger Größe: Philosophisch durch Denker wie Charles Bonnet und Michel de Montaigne untermauert, ersteht „Samota“ zum trotzigen Plädoyer für eine universelle Liebe.

Utopische Naturethik wie vor dem Sündenfall

Natürlich ist diese umfassende Empathie für jede andere gleichberechtigte Lebensform eine Utopie, die allein den paradiesischen Verhältnissen vor dem Sündenfall entspräche. Der Mensch als angebliche Krone der Schöpfung entsagte darin seiner bestialischen Dominanz und gewänne dafür einen – fernöstlich inspirierten – Zustand des Glücklichseins im All-Einen. Darin höbe sich auch individuelle Einsamkeit auf wie von selbst.

Illusorisch? – Aber träumen wird man schon dürfen! Erst recht, wenn das so wundervoll sprachgewandt glückt, wie dieser von der Heimat emanzipierten Literaturvagabundin aus Belarus.

Volha Hapeyeva ist am 19. März, 19 Uhr, auf Schloss Ettersburg bei Weimar zu Gast. Es ist nach Berlin die zweite Station ihrer Lesereise.