Weimar. Nach nur drei Jahren verabschiedet sich Generalmusikdirektor Kirill Karabits mit einem großen Mozart-Marathon aus Weimar.

Ziemlich entspannt wirkt Kirill Karabits an diesem probenfreien Vormittag in seinem zeitweiligen Domizil, dem Russischen Hof zu Weimar. Der ukrainische Generalmusikdirektor des Deutschen Nationaltheaters und Chef der Staatskapelle verabschiedet sich nach nur drei Jahren aus seinem Amt in der Klassiker-Stadt: mit einem großen Mozart-Marathon, der am heutigen Donnerstag mit der „Hochzeit des Figaro“ beginnt und nach „Don Giovanni“ und „Così fan tutte“ im Konzert am Sonntag und Montag mit den letzten drei Sinfonien endet. Gedanklich hat der agile Maestro aus Kiew mit Weimar noch nicht abgeschlossen, mit der künstlerischen Bilanz seiner kurzen Ägide ist er indes zufrieden.

Soeben ist er aus Valencia in thüringischen Gefilden gelandet und zeigt auf dem Smartphone die Fotos der postmodernen Kulturtempel in der spanischen Metropole. Nach wie vor zählt Karabits zu den heiß begehrten Gastdirigenten im internationalen Musik-Business. „Der geht ab wie eine Rakete“, heißt es aus Insiderkreisen. Um seine Zukunft muss man sich nicht sorgen, zumal ihn eine der großen, global tätigen Londoner Konzertagenturen vertritt.

Kirill Karabits, scheidender Generalmusikdirektor des Deutschen Nationaltheaters Weimar und Chef der Staatskapelle Foto: Marco Kneise
Kirill Karabits, scheidender Generalmusikdirektor des Deutschen Nationaltheaters Weimar und Chef der Staatskapelle Foto: Marco Kneise © zgt

So bricht der sympathische Künstler nun sogar auf, den fünften Kontinent musikalisch zu erobern, ist im Juli gemeinsam mit Lang Lang in Melbourne zu Gast und fährt nächstes Frühjahr nach Sydney. Seine neue Spielzeit beginnt im September bei den Bamberger Symphonikern und, an alter Wirkungsstätte, in Straßburg; im Oktober dirigiert Karabits vier Konzerte in Chicago, einem der ruhmreichen Big-Five-Orchestra in den Vereinigten Staaten. Weiter hat er Dallas, Minnesota, Seoul und London im Kalender und ist mit dem Russischen National-Orchester in Deutschland unterwegs. Nach einer neuen Chefstelle hält er nicht vordringlich Ausschau.

„Mich interessiert eine Entwicklung, ein Weg. Nicht eine Position“, beschreibt er lapidar seine Haltung. So wie in Bournemouth. Bei den Sinfonikern der südenglischen Hafenstadt lenkt er seit 2008 die Geschicke und wurde inzwischen zum Chief Conductor auf Lebenszeit gewählt. Die damit verbundene neunwöchige Präsenzpflicht nimmt er sehr ernst, trifft die strategischen Entscheidungen und übernimmt die wichtigsten Projekte am liebsten selbst. Diesen Sommer ist er mit „seinem“ BSO zum zweiten Mal zu den BBC Proms in der Royal Albert Hall eingeladen – ein Adelsschlag für jeden Klangkörper auf der Insel.

„Ich möchte das Gefühl haben, dass ich durch meine Präsenz etwas bewirken, etwas verändern kann“, erklärt er. „Routine interessiert mich nicht.“ In Bournemouth ist das geglückt. Und in Weimar? – „Ich bin stolz auf das, was wir erreicht haben“, sagt Karabits fest. Das anstehende Mozart-Programm war eigentlich nur als Zwischenschritt vorgesehen. Doch jetzt schließt sich der dreijährige Zirkel mit den drei da-Ponte-Opern und noch einmal mit Ludger Vollmers „The Circle“. Wäre es nach dem Ukrainer gegangen, stünde eine weit längere gemeinsame Zukunft mit der Staatskapelle bevor.

Die Querelen aus dem Frühjahr und Sommer des vorigen Jahres will Kirill Karabits nicht mehr kommentieren. Damit hat er innerlich abgeschlossen. Damals hatte DNT-Intendant Hasko Weber sich gegen eine Vertragsverlängerung um mindestens zwei weitere Jahre entschieden. „Zu wenig gemeinsame Termine“, lautete seine Begründung. Vielen Musikfreunden war das völlig unverständlich. So muss die Staatskapelle vorerst ohne musikalischen Leitwolf auskommen. Ob dieser Weg besser ist als eine Fortsetzung der Ära Karabits steht arg infrage. Das Orchester zumindest hatte knapp dafür votiert. „Die künstlerische Verantwortung liegt nun bei uns allen“, erklärte gestern Orchesterdirektor Nils Kretschmer.

Vor allem sind damit die zwei Kapellmeister gemeint, der erst 29-jährige Dominik Beykirch und der weit erfahrenere Stefan Lano, der allerdings in Basel zu Hause ist und dessen aktueller Vertrag nächsten Sommer endet. Die Suche nach einem Karabits-Nachfolger will man laut Kretschmer „so schnell wie möglich“ abschließen, dabei aber „nicht in Hektik verfallen“. Für die Abo-Konzerte in Weimar hat man erfahrene Gäste wie Marc Albrecht (Amsterdam), Fabrice Bollon (Freiburg) und Patrick Lange (Wiesbaden) gebucht; Bertrand de Billy und Yutaka Sado sind auf internationalem Parkett tätig. Das Reiseprogramm des Weimarer Orchesters hält sich 2019/20 mit Auftritten in Hamburg, Köln, München, Budapest, Weilburg, Chorin und Nürnberg in überschaubarem Rahmen. Die Anfrage für eine USA-Tournee wurde nach Kretschmers Worten auf 2021 verschoben.

Die Einladung der angesehenen Agentur Columbia ist dem grandiosen Erfolg der Mammut-Tournee durch die Staaten im Frühjahr 2018 zu danken. Da feierte die Kapelle unter Karabits die längste ausländische Auftrittsserie ihrer Geschichte – entlang der Ostküste und im Mittelwesten. Das markierte den Höhepunkt in der Amtszeit des Ukrainers, des nach Dafürhalten seiner euphorischen Fan-Gemeinde besten Chefs seit George-Alexander Albrecht. In Weimar hat Kirill Karabits sich energisch für die zeitgenössische Musik eingesetzt und präsentierte mit Krzysztof Penderecki, Valentin Silvestrov und Mark-Anthony Turnage Jahr für Jahr einen prominenten Composer in Residence.

Einen noch stärkeren Akzent setzte der 42-Jährige auf die Weimarer Musik-Traditionen und machte sich – und dem Orchester – mit Ausgrabungen von Richard Strauss und Franz Liszt, zumal mit der Rekons-truktion dessen „Sardanapalo“-Opernfragments, einen Namen. Die CDs sorgten international für Furore; für die Einspielung der Revolutions-Kantate Sergej Prokofieffs gab es sogar den International Classical Music Award (ICMA). Der Name Weimar hat wieder Klang in der Welt. „Ich habe alles gemacht, was ich konnte“, kommentiert der Maestro im Rückblick – mit spürbarer Genugtuung.

Das einzige A-Orchester Thüringens hat unter Karabits auch künstlerisch zum steilen, indes allzu kurzen Höhenflug angesetzt. Ob diese Entwicklung sich ohne ihn fortsetzen lässt, steht nun in Frage. „Wenn ich hier noch einmal am Anfang stünde“, sagt der Ukrainer nachdenklich, „würde ich nichts anders machen.“ Seine Haltung und seine Leistung genießen allseits Respekt. Seine Fans werden ihn nun dafür noch einmal feiern, das musikalische Weimar sagt tief bewegt „Danke“. Immerhin bleibt ein schwacher Trost: Nächsten Sommer kehrt Kirill Karabits als Gast in die Klassikstadt zurück, um mit der Beethoven-Kantate und der „Faust“-Sinfonie den Liszt-Zyklus zu vollenden.

Mozart-Opern heute, morgen und Samstag jeweils 19.30 Uhr im DNT, Großes Haus; Mozart-Sinfonien am Sonntag und Montag, 19.30 Uhr, in der Weimarhalle; „The Circle“ am 20. Juni, 19.30 Uhr, im DNT