Berlin –. Der Forensik-Experte ist auch als Schriftsteller sehr erfolgreich. In seinem neuen Bestseller hat er sich gemeinsam mit seiner Frau Anja Tsokos an einem neuen Genre versucht. Es geht um die DDR.

Der Rechtsmediziner Michael Tsokos ist nicht nur seit Jahren Bestseller-Autor zahlreicher True-Crime-Thriller, sondern schreibt auch erfolgreiche fiktionale Kriminalromane. An der Berliner Charité war er bis Ende letzten Jahres Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, außerdem ist er auf RTL+ mit Schauspieler Jan Josef Liefers in der Doku-Reihe „Obduktion“ zu sehen. Nun schlägt er wieder einen neuen Weg ein.

Zusammen mit seiner Frau Anja Tsokos hat er einen Roman geschrieben, der ein ganz anderes Genre bedient. Man könnte den Bestseller „Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge“ vielleicht als Schelmenroman bezeichnen. Erzählt wird von einem Mann, der vom Aufwachsen in der DDR geprägt ist und sich auf eine Reise macht. Der Roman erinnert in seiner Machart etwas an „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson.

Im Fokus steht Heinz Labensky, 79 Jahre alt, Ostzonengewächs und genügsamer Heimbewohner. Er erwartet vom Leben nicht mehr viel und hat sich in seinem kleinen unscheinbaren Dasein mit Tütensuppen und Gelenkverschleiß eingerichtet. Da erreicht ihn eines Tages ein Brief, der sein Leben gründlich durchrüttelt. Der Brief wühlt nicht nur alte Gefühle für seine einzige große Liebe wieder auf, er könnte auch das Geheimnis lösen, warum seine geliebte Rita vor Jahrzehnten spurlos verschwand.

Reise durch eine fremde Welt

Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit verlässt Labensky deshalb sein Erfurter Heim und begibt sich auf eine weite Reise an die Ostsee. Voll banger Erwartung reist er im Bus durch eine ihm fremde Welt. Denn mental ist „Heinzi“ immer noch in einer Vergangenheit und einem Land gefangen, das vor über 30 Jahren aufgehört hat zu existieren. Labenskys Konfrontation mit der Wirklichkeit ist rührend und kurios.

Ausgestattet mit grenzenloser Naivität und Weltfremdheit gerät Labensky immer wieder in hochdramatische Situationen und erlebt historische Momente, die er selbst aber gar nicht richtig einzuschätzen weiß, weil es ihm hierzu an Bildung und Intellekt fehlt. Wie ein Traumtänzer wandelt er so durch die DDR-Geschichte.

Schon in seiner Kindheit in einer brandenburgischen Kleinstadt ist Labensky Außenseiter. Sein Vater fiel in Stalingrad, seine Mutter trinkt zu viel und hat einen anrüchigen Ruf. Seine holprige Schullaufbahn endet abrupt, als ihn ein Arzt als „schulbildungsunfähigen, förderungsunfähigen Intelligenzgeminderten“ abstempelt.

Über all dies hilft ihm seine Freundschaft mit Rita hinweg, die genau wie er außerhalb der Gemeinschaft steht. Denn das fremd aussehende Mädchen gilt als „Russenkind“, als undeutsche „Promenadenmischung“. Fortan begreift sich Heinz Labensky als Ritas Beschützer, eine Rolle, die er nie mehr aufgeben wird. Als die begabte Rita in die Hauptstadt zieht, um Künstlerin zu werden, scheint die Freundschaft zu Ende, doch unter wundersamen Umständen werden sie sich wiedersehen.

Wundersames Leben

Wundersam ist überhaupt vieles in Labenskys Leben, das er auf der langen Fahrt an die Ostsee seinen Mitreisenden zum Besten gibt. Da war der Brand, den er gewollt oder ungewollt in einem geheimen Stasi-Schulungsheim auslöste, oder die kafkaeske Taxifahrt mit drei berüchtigten RAF-Terrorristen durch Ostberlin und schließlich die aberwitzige Suche nach dem legendären Bernsteinzimmer, bei dem ihm wieder einmal eine entscheidende Rolle zukam. Warum war ausgerechnet er, der dummköpfige „Heinzi“, so häufig im Mittelpunkt des Geschehens? War das alles wahr oder besitzt er doch nur eine blühende Fantasie?

Der Witz des Buches liegt vor allem in den grotesken Missverständnissen begründet, die Labenskys Begriffsstutzigkeit heraufbeschwören. Manchmal schimmert dahinter aber eine schelmische Schlitzohrigkeit durch. Obwohl die problematischen Seiten der DDR durchaus thematisiert werden, durchzieht das Buch doch eine ganz bewusst eingesetzte Ostalgie, die man je nach Standpunkt penetrant oder auch heimelig finden kann. Man trägt hier noch Permaflotthemden und Wisent-Hosen, lässt Ruhla-Miniwecker klingeln, duftet nach Florena-Creme und genießt Halloren-Schokolade. Und eines fernen Tages, so viel ist sicher, landet der Held dann todsicher in einem Erdmöbel. Klingt doch gleich viel gemütlicher als so ein schnöder Sarg.