Isolation, gesellschaftliche Zwänge und Gedanken an den Krieg. Christian Werner über das Album „The Wall“ von Pink Floyd.
Vera Lynn ist tot. Sie starb am 18. Juni dieses Jahres im gesegneten Alter von 103 Jahren in Ditchling in der englischen Grafschaft East Sussex. Lynn lebte ein Leben im Rampenlicht: Bekanntheit erlangte die britische Sängerin als „Truppen-Sweatheart“, weil sie für Frontsoldaten sang, und vor allem mit dem Lied „We’ll meet again“, das sie während des Zweiten Weltkrieges veröffentlichte. Ihre Karriere kannte danach noch viele Stationen, zu ihrem größten Erfolg kam sie auf der Bühne und in den Hitparaden immer wieder zurück.
Erinnert sich noch jemand an Vera Lynn? Zumindest taten das Pink Floyd bereits 1979, die mit eben dieser Frage im Song „Vera“ der Künstlerin auf dem Doppelalbum „The Wall“ ein kleines Denkmal setzten.
Zimmermannshämmer und kämpferische Zeilen
Für das millionenfach verkaufte Konzeptalbum muss eigentlich keine Werbetrommel gerührt werden. Musik, Texte und Artwork sind nicht nur im Bewusstsein der Generation der Babyboomer verwurzelt. Die marschierenden Zimmermannshämmer etwa. Oder die kämpferischen Zeilen des Songs „Another Brick in the Wall“ wie „We don’t need no Education“ (Wir brauchen keine Bildung). Die Hymne gehört heute noch zum buchstäblich guten Ton jeder Schüler- oder Studenten-Demo.
Oder die Schar von Gitarrennovizen, die sich seit Äonen an der chromatischen James-Bond-Melodie von „Is there anybody out there“ die Fingerkuppen blutig üben.
Und doch lohnt es, die Platte wieder aufzulegen. Denn sie passt in die Zeit, in die Situation. Eine zweite Welle des Coronavirus bahnt sich an oder ist schon da, je nach Expertenmeinung. Die Themen Vereinsamung und soziale Isolation sind längst nicht obsolet. Auch die Frage nach Art und Weise notwendiger staatlicher Eingriffe lohnen weitere Diskussionen.
Emotional und sozial isoliert
Das sind auch die Themen von „The Wall“, die allerdings mit anderen Vorzeichen in die Welt gesetzt wurden. Bassist und Sänger Roger Waters konzipierte das Album um die Metamorphose des Musikers Pink, der sich emotional und sozial isoliert zum Despoten erhebt. Es geht um das Zusammenspiel von Individuum, Gesellschaft und Staatsformen.
Das gut 40 Jahre alte Album ist deshalb so aktuell wie kaum ein anderes. (Von den quarantänegeprägten Texten des neuen Taylor-Swift-Werkes „Folklore“ vielleicht abgesehen.)
75 Jahre nach Kriegsende drängt sich ein weiterer Bezug auf: In „The Wall“ zahlen auch Grauen und Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges ein. Waters’ Vater fiel 1944 in Italien.
Reinhören!
Wir haben die Playlist zum Krisen-Modus. Hören Sie unsere Auswahl an Songs für die Heimarbeit, zur Kurzweil oder für andere Ablenkungen in Selbstquarantäne. Die Titel werden mit jeder neuen Folge unserer Kolumne erweitert. Und hier erfahren Sie, warum die Songs ausgewählt wurden.