Als die Rolling Stones etwas neues probieren. Christian Werner über das Album „Goats Head Soup“.
Blumen sind nicht gerade das Accessoire, das man mit Keith Richards in Verbindung bringt. Gitarren und Whiskey ja, vielleicht noch andere, härtere Drogen, Zigaretten auch. Aber Blumen? Okay, es gibt ein Album mit frühen Singles der Rolling Stones namens „Flowers“ (englisch für Blumen), aber das war ja eher ein Nebenwerk.
Und doch posiert der Stones-Gitarrist 1973 mit einer rosaroten Rose am Kopf seiner akustischen Gitarre im offiziellen Promo-Video zu „Angie“. Es ist nicht nur optisch eine Zäsur. Auch phonetisch: Die Stones machen nun auf Kuschelrock. Auf hohem Niveau freilich, der Blues steckt in jedem Akkord, der Gesang Mick Jaggers – mal wispernd, mal maunzend bis raunzend und fordernd – sowie die Gitarre und ihr ewiger Tanz mit dem Takt suchen immer noch ihresgleichen.
Berühmter Song für neue Hörer
„Goats Head Soup“ heißt das Album mit dem berühmten Song, der auch in Richtung neue Hörer schielte. Richards vermutete mal, dass sich wohl einige Leute die Single gekauft haben, die sich aber nie eine Platte der Gruppe zulegen würden. Der Albumtitel heißt übersetzt Ziegenkopfsuppe, angeblich ein traditionelles jamaikanisches Gericht. Die Band hat darauf eine breite Mixtur gebraut: Bewährtes wie das gefährlich dräuende „Dancin with Mr. D“, Bluesiges wie „Hide your Love“ und sie probiert neues, wie schon erwähnte Schmacht- und Schmuseballaden oder das bläsergetriebene „Doo Doo Doo Doo Doo (Heartbreaker)“.
Das Album gilt gemeinhin als Übergangswerk, was ihm nicht ganz gerecht wird. Die Stones hatten zuvor eine Reihe Platten veröffentlicht, die heute Klassiker sind, etwa „Sticky Fingers“ und „Exile on Main Street“. In den nächsten Jahren waren sie auf dem Weg zur Stadionband ohne Limits, der Bandname wurde zur auf allen möglichen Wegen verwertbaren Marke aufgebaut.
Zur Zeit von „Goats Head Soup“ zeigt sich die Band noch immun gegen Trends wie Glamrock. Später werden auch sie mit Disco und Beats spielen. Dass die Experimentierfreude trotzdem nicht brach lag, zeigen die soeben erschienen neuen Editionen des Albums. Alternative Versionen und Outtakes von Songs wie „100 Years ago“ (nur mit Jagger und Piano) geben wunderbare Einblicke in den kreativen Prozess.
Gleich drei unveröffentlichte Songs wurden aus dem Archivschlaf geholt. Der beste, „Scarlett“, ist eine verschollen geglaubte Perle mit Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page. Auch wenn heute keiner der Protagonisten so genau weiß, wo man das historische Zusammenspiel abhielt.
Reinhören!
Wir haben die Playlist zum Krisen-Modus. Hören Sie unsere Auswahl an Songs für die Heimarbeit, zur Kurzweil oder für andere Ablenkungen in Selbstquarantäne. Die Titel werden mit jeder neuen Folge unserer Kolumne erweitert. Und hier erfahren Sie, warum die Songs ausgewählt wurden.