Weimar. Neue CD der Staatskapelle Weimar: Der Dramatiker Franz Liszt findet in Kirill Karabits einen idealen Interpreten.

Stellen wir uns Liszt in Weimar vor: als umtriebigen Avantgardisten, der fest auf dem Fundament der Kulturgeschichte steht, als Mann in seinen besten Jahren, voller kosmopolitischer und humanistischer Gesinnung, der sein Kapellmeister-Amt mit Würde und Ehrgeiz ausübt, obwohl man ihn in der Kleinstadt als Außenseiter ansieht. Er scheidet im Streit, kehrt später – in innerem Frieden – zurück.

Mag sein, dass eine Reihe der Attribute auf Kirill Karabits (43) ebenso zutreffen. Der Dirigent aus Kiew, zurzeit Weltenbummler zwischen Minneapolis, Sydney und Montpellier, hat in seiner drei Jahre kurzen Thüringer Ägide Spuren hinterlassen. Als etwas, das bleibt aus jenen ruhmreichen Tagen der Staatskapelle Weimar, erreicht uns nun die vierte CD beim Label audite, Teil Zwei eines geplanten Liszt-Zyklus.

Dessen „Künstlerfestzug zur Schillerfeier“ 1859 könnte man für ein Gelegenheitswerk halten, zum Festakt des 100. Dichter-Geburtstags. Tatsächlich trägt diese Ausgrabung unverwechselbar die Handschrift Franz Liszts. Unvermeidliche Blechfanfaren lässt Karabits klar und möglichst dezent konturieren, mit dem wiederkehrenden dolce-espressivo-Thema spürt er inniglichsten Gefühlswelten, dem sehrenden Schillerschen Idealismus, nach. So entsteht eine knappe, dramatische Charakterskizze des Dichters, wie Liszt ihn ansah.

Man weiß von des Musikgenies Eigenschaft als Homme de lettres, seine Sprache jedoch rührt wortlos an tiefere Sphären des Empfindens. Der tragischen Figur des Torquato Tasso widmete er eine eher von Byron als Goethe inspirierte Symphonische Dichtung, die – ebenfalls ein Weimarer 100. Jahrestag – 1849 dort uraufgeführt wurde. In mehreren, teils leitmotivisch durchwirkten Episoden schildern Liszt und Karabits uns den Lebens- und Leidensweg des von schweren Gemütszuständen geplagten Renaissance-Dichters: tiefe Melancholie, aber auch innere Vergnügtheit, Hadern und Kämpfe, schließlich – knapp und prägnant – den postmortalen Triumph. Hier wird ein Dirigent zum Erzähler, der Binnenspannungen zu gestalten weiß.

Die dritte Station auf der Reise in die Weltliteratur bildet die Symphonie zu Dantes „Divina Commedia“. In dieser Großstruktur verhilft Karabits’ analytische Gestaltungskraft zu sinnhafter, sinnenmächtiger Erlebnisqualität. Hinab stürzen wir grell ins Höllen-Inferno und genießen nach lange mäandernd durchlaufenem Purgatorio ein elysisches Transzendenzerlebnis im finalen Magnificat. Karabits zaubert ein kompaktes, plastisches, von romantischem Firnis befreites Klangbild, so dass die farbenreichen Facetten des Werkes faszinieren.

Der Jena-Weimarer Chor und die Staatskapelle mit ihrem herb-intensiven Streicherklang beweisen im Live-Mitschnitt ihr Niveau. Was für ein unpathetischer Genuss! – Nicht als Abglanz alter Tage hören wir es; eher als Vorgeschmack auf den Juni in Weimar: Dann dirigiert Kirill Karabits – als Gast! – Liszts Beethoven-Kantate und Faust-Symphonie.

F. Liszt: Dante-Symphonie, Tasso, Künstlerfestzug. Staatskapelle Weimar, Karabits. CD, audite, ca. 16 Euro